Visite auf der Elbphilharmonie

By | 12. Oktober 2013

Erschienen in: Hamburg. Das Magazin der Metropole, Juni 2013

Klangkrone und Kulturikone

Schon jetzt sind die kühnen Schwünge ihrer Silhouette zu einem Hamburger Wahrzeichen geworden. Die präzisen Konturen der Konzerthalle auf einem ehemaligen Kaispeicher bilden ein Konzert aus Stahl, Beton, Backstein und Glas. Ein Besuch auf der Elbphilharmonie.

Text: Christian Tröster

 

Alles schwingt in diesem Gebäude: die Decken wölben sich zu hügeligen Landschaften, Balkonbrüstungen fließen wie Wasserfälle ins Haus hinein, Beton wogt in wuchtigen Rampen. Es ist, man spürt es schon im Rohbau der Elbphilharmonie, ein Haus, das für Musik gemacht ist. Wenn Räume rhythmisch sein können, dann hier, auf Hamburgs altem Kaispeicher A zwischen dem 8. und 26. Stockwerk. „Große Symphonien“, sagt Intendant Christoph Lieben-Seutter während er in Gummistiefeln und mit Bauhelm über die Baustelle eilt, „sind ja schon oft mit Architektur verglichen worden“, und umgekehrt geht es offenbar auch. Die Elbphilharmonie, das wird auf unter Gipsstaub und Plastikplanen langsam sichtbar, ist gebaute Musik, eine Raumkomposition voll Dynamik, Größe und Erhabenheit.

„Es ist toll“, schwärmt der Intendant zwischen den Baugerüsten, „all das, was man vorher nur aus Plänen kannte, nun in drei Dimensionen zu erleben“. Und davon jeden Tag ein bisschen mehr. Dass nun tatsächlich gesägt, gebohrt und gehämmert wird, ist vielleicht auch ein Moment der Erhabenheit, nach Jahren des Streits, der Blockaden und gegenseitigen Beschuldigungen. Der Lärm der Baustelle mag da in seinen Ohren klingen wie eine Symphonie der Hoffnung. Himmel und Hölle liegen eben nahe beieinander in der Elbphilharmonie. Lieben-Seutter, der 2007 nach Hamburg kam um binnen vier Jahren eines der besten Konzerthäuser der Welt zu bespielen, war er jahrelang nur Herrscher über eine Phantasie, die im Sumpf von Politik und Managementversagen steckenblieb. Um die Zeit zu überbrücken, erarbeitete er ein viel beachtetes Programm für die Laeisz-Halle und andere Spielorte in der Stadt. Nachdem die Premiere in der Elbphilharmonie erst auf 2013 und dann noch einmal auf ungewisse Zeit verschoben wurde, äußert er sich erst einmal nicht mehr zu einem neuen Termin und auch nicht zum Eröffnungsprogramm.

Seit April aber, als Senat, Architekten und der Baukonzern Hochtief ihre Verhältnisse neu geordnet haben, ist der Himmel für die Elbphilharmonie wieder näher gerückt. Bildlich gesprochen und auch ganz real: es wird wieder geschraubt und geschweißt auf Hamburgs umstrittenster Baustelle. Christoph Lieben-Seutter weist über Rampen aus rohem Beton und stählerne Stützkonstruktionen hinweg: „Mich beeindruckt vor allem die Foyerlandschaft, da gibt es Sichtbezüge über acht Stockwerke hinweg“. Und die reichen aus dem Bauch des Gebäudes bis in die Wolken. Denn dort, wo die Besucher die umlaufende Loggia betreten, zwischen Klinkerklotz und Glasaufsatz in 37 Metern Höhe, haben die Architekten weite Bögen in die Fassade geschnitten. Die Sicht wird dadurch auch nach oben frei, in den Hamburger Himmel. „Besonders in der Dämmerung ist der Blick sensationell“, sagt Christoph Lieben-Seutter und grinst: „Wir haben schon überlegt Karten nur für die Konzertpausen verkaufen“. Was natürlich ein Scherz ist. Tatsächlich ist die Plaza auf dem Dach des alten Kaispeichers so öffentlich wie der Rathausmarkt und hat auch eine ähnliche Größe: 4400 Quadratmeter. Nicht nur Besucher von Konzerten werden hier ein- und ausgehen, sondern auch Gäste des Hotels, Bewohner der Appartements und jede Menge Touristen. Die Plaza, ist sich Lieben-Seutter sicher, wird schon in wenigen Jahren einer der meistbesuchten Plätze Hamburgs sein. Sie ist wesentlicher Bestandteil der Idee, die Elbphilharmonie zu einem Haus für alle zumachen: „Es ist eines unserer großen Anliegen zugänglich zu sein“, sagt er, „ und das soll sich im Bau wie auch im Programm ausdrücken“. Dann eilt er durch ein Treppenhaus, das mit einer Steilkurvenwand für sich schon eine Sehenswürdigkeit wäre, und betritt den Großen Konzertsaal. Hier ist Lieben-Seutter in seinem Element, denn hier wird die Musik spielen, für die er vor sechs Jahren nach Hamburg kam. Im Parkett, wo er nun steht, erlebt man den dreißig Meter hohen Raum als steil aufragend. „Dadurch bekommt der Saal Intimität trotz seines Volumens“, erläutert Lieben-Seutter, „die Zuschauer rücken nahe ans Geschehen“. Sie können, wenn sie im Rücken des Orchesters sitzen, den Geigern in die Noten und dem Dirigenten in die Augen schauen. Das Konzept der Architekten sieht zudem vor, dass sie auch innerhalb des Saals durchgängig von unten nach oben bewegen können. Die Ränge, die fließend ineinander übergehen und auf denen bald 2150 Sitze montiert werden, sind gestaffelt wie Terrassen eines Weinbergs. Ist man ganz oben angelangt, etwas atemlos, verändert sich der Raumeindruck. Aus der Enge eines Talkessels wird die Weite eines Bergblicks, so wie man ihn auf den Renderings der Architekten schon erahnt. Und man glaubt auch zu spüren, wie sehr dieser Raum durch Orchesterklänge ausgefüllt, ja geflutet wird. „Ja, er eignet sich für große Symphonik“, schwärmt Christoph Lieben-Seutter, „ich stelle mir darin Musik des 20 Jahrhunderts vor, Strawinsky, Messiaen oder Ligeti. Aber auch Jazz und Weltmusik, vieles ist möglich“. Und weil vieles eben nicht alles heißt, erläutert er: „Wir vermieten nicht an jeden. Die Qualität der Architektur gibt das Niveau vor“.  Das ist hoch, soll aber nicht so hoch sein, dass keiner mehr kommt. Freddy Quinn, ja warum nicht, gegen gutes Entertainment sei nichts einzuwenden. Rein technisch sei eigentlich nur harte Rockmusik ausgeschlossen, weil sie mit massiven Verstärkern arbeite. Das vertrage sich nicht mit der Akustik des Saales, der wie ein Klangkörper mitschwingt. Damit das perfekt funktioniert, wird er demnächst mit einer weißen Haut ausgekleidet. 6.500 qm, bestehend aus 10.000 individuell gefertigten Gipskartonplatten. In akribischer Arbeit wurden sie in dem 1:10 Modell entwickelt, das heute an den Magellan-Terrassen zu besichtigen ist. Auf den Sitzplätzen wurden dabei Filzpuppen platziert und der Sound akribisch aufgezeichnet. Jede einzelne Platte im Format von 50 mal 70 cm erhielt danach ein computergefrästen Wellenprofilen, das den Klang in seiner ganzen Fülle in jeden Rang und an jeden Sitzplatz leitet.

Himmlische Klänge also in einem himmlischen Gebäude. Und dass der echte Himmel dabei auch immer eine Rolle spielt, dafür haben die Architekten ohnehin gesorgt. Wieder draußen vor der Tür weist Christoph Lieben-Seutter auf die gläserne Fassade. Kein anderes Gebäude, das er kenne, interagiere so sehr mit dem natürlichen Licht  wie die Elbphilharmonie. Und das ist schon heute für alle sichtbar. Glühend orange leuchtet die Elbphilharmonie im Abendhimmel, wenn man mit der Elbfähre von Altona herkommt, dann wieder ist sie stahlblau oder grau. Und manchmal morgens, von den Elbrücken gesehen, funkelt sie, als wäre sie mit Brillanten besetzt. Die Hamburger wissen in solchen Momenten: Streit hin, Bauverzögerung her, sie wird eben doch ein Juwel.