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Visite auf der Elbphilharmonie

Erschienen in: Hamburg. Das Magazin der Metropole, Juni 2013

Klangkrone und Kulturikone

Schon jetzt sind die kühnen Schwünge ihrer Silhouette zu einem Hamburger Wahrzeichen geworden. Die präzisen Konturen der Konzerthalle auf einem ehemaligen Kaispeicher bilden ein Konzert aus Stahl, Beton, Backstein und Glas. Ein Besuch auf der Elbphilharmonie.

Text: Christian Tröster

 

Alles schwingt in diesem Gebäude: die Decken wölben sich zu hügeligen Landschaften, Balkonbrüstungen fließen wie Wasserfälle ins Haus hinein, Beton wogt in wuchtigen Rampen. Es ist, man spürt es schon im Rohbau der Elbphilharmonie, ein Haus, das für Musik gemacht ist. Wenn Räume rhythmisch sein können, dann hier, auf Hamburgs altem Kaispeicher A zwischen dem 8. und 26. Stockwerk. „Große Symphonien“, sagt Intendant Christoph Lieben-Seutter während er in Gummistiefeln und mit Bauhelm über die Baustelle eilt, „sind ja schon oft mit Architektur verglichen worden“, und umgekehrt geht es offenbar auch. Die Elbphilharmonie, das wird auf unter Gipsstaub und Plastikplanen langsam sichtbar, ist gebaute Musik, eine Raumkomposition voll Dynamik, Größe und Erhabenheit.

„Es ist toll“, schwärmt der Intendant zwischen den Baugerüsten, „all das, was man vorher nur aus Plänen kannte, nun in drei Dimensionen zu erleben“. Und davon jeden Tag ein bisschen mehr. Dass nun tatsächlich gesägt, gebohrt und gehämmert wird, ist vielleicht auch ein Moment der Erhabenheit, nach Jahren des Streits, der Blockaden und gegenseitigen Beschuldigungen. Der Lärm der Baustelle mag da in seinen Ohren klingen wie eine Symphonie der Hoffnung. Himmel und Hölle liegen eben nahe beieinander in der Elbphilharmonie. Lieben-Seutter, der 2007 nach Hamburg kam um binnen vier Jahren eines der besten Konzerthäuser der Welt zu bespielen, war er jahrelang nur Herrscher über eine Phantasie, die im Sumpf von Politik und Managementversagen steckenblieb. Um die Zeit zu überbrücken, erarbeitete er ein viel beachtetes Programm für die Laeisz-Halle und andere Spielorte in der Stadt. Nachdem die Premiere in der Elbphilharmonie erst auf 2013 und dann noch einmal auf ungewisse Zeit verschoben wurde, äußert er sich erst einmal nicht mehr zu einem neuen Termin und auch nicht zum Eröffnungsprogramm.

Seit April aber, als Senat, Architekten und der Baukonzern Hochtief ihre Verhältnisse neu geordnet haben, ist der Himmel für die Elbphilharmonie wieder näher gerückt. Bildlich gesprochen und auch ganz real: es wird wieder geschraubt und geschweißt auf Hamburgs umstrittenster Baustelle. Christoph Lieben-Seutter weist über Rampen aus rohem Beton und stählerne Stützkonstruktionen hinweg: „Mich beeindruckt vor allem die Foyerlandschaft, da gibt es Sichtbezüge über acht Stockwerke hinweg“. Und die reichen aus dem Bauch des Gebäudes bis in die Wolken. Denn dort, wo die Besucher die umlaufende Loggia betreten, zwischen Klinkerklotz und Glasaufsatz in 37 Metern Höhe, haben die Architekten weite Bögen in die Fassade geschnitten. Die Sicht wird dadurch auch nach oben frei, in den Hamburger Himmel. „Besonders in der Dämmerung ist der Blick sensationell“, sagt Christoph Lieben-Seutter und grinst: „Wir haben schon überlegt Karten nur für die Konzertpausen verkaufen“. Was natürlich ein Scherz ist. Tatsächlich ist die Plaza auf dem Dach des alten Kaispeichers so öffentlich wie der Rathausmarkt und hat auch eine ähnliche Größe: 4400 Quadratmeter. Nicht nur Besucher von Konzerten werden hier ein- und ausgehen, sondern auch Gäste des Hotels, Bewohner der Appartements und jede Menge Touristen. Die Plaza, ist sich Lieben-Seutter sicher, wird schon in wenigen Jahren einer der meistbesuchten Plätze Hamburgs sein. Sie ist wesentlicher Bestandteil der Idee, die Elbphilharmonie zu einem Haus für alle zumachen: „Es ist eines unserer großen Anliegen zugänglich zu sein“, sagt er, „ und das soll sich im Bau wie auch im Programm ausdrücken“. Dann eilt er durch ein Treppenhaus, das mit einer Steilkurvenwand für sich schon eine Sehenswürdigkeit wäre, und betritt den Großen Konzertsaal. Hier ist Lieben-Seutter in seinem Element, denn hier wird die Musik spielen, für die er vor sechs Jahren nach Hamburg kam. Im Parkett, wo er nun steht, erlebt man den dreißig Meter hohen Raum als steil aufragend. „Dadurch bekommt der Saal Intimität trotz seines Volumens“, erläutert Lieben-Seutter, „die Zuschauer rücken nahe ans Geschehen“. Sie können, wenn sie im Rücken des Orchesters sitzen, den Geigern in die Noten und dem Dirigenten in die Augen schauen. Das Konzept der Architekten sieht zudem vor, dass sie auch innerhalb des Saals durchgängig von unten nach oben bewegen können. Die Ränge, die fließend ineinander übergehen und auf denen bald 2150 Sitze montiert werden, sind gestaffelt wie Terrassen eines Weinbergs. Ist man ganz oben angelangt, etwas atemlos, verändert sich der Raumeindruck. Aus der Enge eines Talkessels wird die Weite eines Bergblicks, so wie man ihn auf den Renderings der Architekten schon erahnt. Und man glaubt auch zu spüren, wie sehr dieser Raum durch Orchesterklänge ausgefüllt, ja geflutet wird. „Ja, er eignet sich für große Symphonik“, schwärmt Christoph Lieben-Seutter, „ich stelle mir darin Musik des 20 Jahrhunderts vor, Strawinsky, Messiaen oder Ligeti. Aber auch Jazz und Weltmusik, vieles ist möglich“. Und weil vieles eben nicht alles heißt, erläutert er: „Wir vermieten nicht an jeden. Die Qualität der Architektur gibt das Niveau vor“.  Das ist hoch, soll aber nicht so hoch sein, dass keiner mehr kommt. Freddy Quinn, ja warum nicht, gegen gutes Entertainment sei nichts einzuwenden. Rein technisch sei eigentlich nur harte Rockmusik ausgeschlossen, weil sie mit massiven Verstärkern arbeite. Das vertrage sich nicht mit der Akustik des Saales, der wie ein Klangkörper mitschwingt. Damit das perfekt funktioniert, wird er demnächst mit einer weißen Haut ausgekleidet. 6.500 qm, bestehend aus 10.000 individuell gefertigten Gipskartonplatten. In akribischer Arbeit wurden sie in dem 1:10 Modell entwickelt, das heute an den Magellan-Terrassen zu besichtigen ist. Auf den Sitzplätzen wurden dabei Filzpuppen platziert und der Sound akribisch aufgezeichnet. Jede einzelne Platte im Format von 50 mal 70 cm erhielt danach ein computergefrästen Wellenprofilen, das den Klang in seiner ganzen Fülle in jeden Rang und an jeden Sitzplatz leitet.

Himmlische Klänge also in einem himmlischen Gebäude. Und dass der echte Himmel dabei auch immer eine Rolle spielt, dafür haben die Architekten ohnehin gesorgt. Wieder draußen vor der Tür weist Christoph Lieben-Seutter auf die gläserne Fassade. Kein anderes Gebäude, das er kenne, interagiere so sehr mit dem natürlichen Licht  wie die Elbphilharmonie. Und das ist schon heute für alle sichtbar. Glühend orange leuchtet die Elbphilharmonie im Abendhimmel, wenn man mit der Elbfähre von Altona herkommt, dann wieder ist sie stahlblau oder grau. Und manchmal morgens, von den Elbrücken gesehen, funkelt sie, als wäre sie mit Brillanten besetzt. Die Hamburger wissen in solchen Momenten: Streit hin, Bauverzögerung her, sie wird eben doch ein Juwel.

 

 

Exzellente Grafikprogramme läuten das Ende der „fotografischen Wahrheit“ ein.

Erschienen in: Lufthansa Exclusive 8/2013

 

 

SCHÖNER KLONEN. Den Bildern ist kaum mehr zu trauen, seit deilkate Ansichten am Hochleistungsrechner entstehen. Das Wunderliche daran: Der künstliche Schein darf alles sein, nur nicht perfekt.

Text: Christian Tröster

 

Die Backwaren sind so knusprig, dass man hineinbeissen möchte: Mehlstaub auf dem frischen Brot, die Bagels mit Sesam und die Brötchen so frisch, dass man meint die Kruste beim ersten Biss krachen zu hören. Sinnlichkeit bis ins Detail bieten die Bilder von Bertrand Benoit, tolle Fotos, so möchte man meinen, und nach Objektiven, Brennweiten und Fotografentricks fragen. Doch Benoit ist nicht Fotograf, sondern 3D-Künstler, seine Bilder sind gerechnet, nicht geknipst. Mit der Maus könnte er die Brötchen auf dem Computerbildschirm in eine andere Position bringen, die Software würde deren Schattenwurf automatisch anpassen: Whow! Und wie hat Benoit das gemacht? Mit seinem iPad. Am Anfang der Bildschöpfung standen einzelne Fotos in Smartphone-Qualität, zusammengerechnet von einer kostenlosen App namens 123D Catch. Will heißen: Die Technik der 3D-Visualisierungen produziert nicht nur sensationelle Bilder, sondern ist auch dabei, für jedermann greifbar zu werden. Stehen wir vor einer weiteren Revolution der Fotografie oder besser der Bildproduktion?

„Genau jetzt, nicht vor einem Jahr und auch nicht nächstes Jahr“, kommentiert Uwe Melichar von der Hamburger Agentur Factor Design, „ist fotorealistische Genauigkeit aus dem Computer möglich. Man kann Bilder so rechnen, dass kein Unterschied mehr zur Fotografie erkennbar ist“. Die Waschbecken eines Badherstellers konnte Melichars Agentur auf diese Weise in einem New Yorker Loft zeigen, das gar nicht existiert. Entsprechend einfach sind Korrekturen möglich: das Loft kann mal mit Marmor oder Schiefer  ausgelegt sein und vor dem Fenster kann wahlweise Sommer oder Winter herrschen. Die Technologie für solche Tricksereien gibt es bereits seit fünfzehn Jahren. Doch wartete man damals eine Woche lang auf das Rechenergebnis für ein briefmarkengroßes Bild bekommt man heute eins in Postergröße binnen zwei Stunden. „Man braucht plötzlich überhaupt keine Logistik mehr, nur noch Daten“, erläutert Melichar.

Der Markt für Gebrauchsfotografie ist damit einem radikalem Wandel unterworfen. Agenturen wie Factor Design ersparen sich immer öfter die teuren Photoshootings. „Das ist ein Kostenvorteil“, berichtet Melichar, „zum Beispiel Möbel mit all ihren Varianten zu fotografieren, mit Armlehnen oder ohne und mit verschiedenen Polsterungen, das ist enorm aufwändig“.

Nach ihrem Start in Hollywoodfilmen wurden die computergenerierten Bilder zunächst  in der Automobilindustrie angewandt. „Irgendwann“, so erinnert sich Otmar Kratzer, der an der Realisierung des ersten virtuellen Online-Konfigurators für BMW beteiligt war, „hatten wir so viele Ausstattungs-Varianten, dass es unmöglich wurde, alle zu fotografieren“. Doch obwohl digitale Bilder in Filmen wie Jurassic Park oder Herr der Ringe längst durch die Kinos gelaufen waren, gab  es beim Autohersteller zunächst Widerstände: „Es brauchte viel Überzeugungsarbeit“, erinnert sich Kratzer, der inzwischen ins Management von RTT, einem führenden Anbieter für 3D-Visualisierungen, gewechselt ist. Seit der Gründung 1999 hat das Münchner Unternehmen ein rasantes Wachstum hingelegt, wuchs von 50 auf rund 700 Mitarbeiter und stellt auf Basis von Daten immer realistischere Bilder her – bis hin zu Präsentationen in Augmented Reality. Der amerikanische Begriff steht für eine Anreicherung der Realität mit digitalen Bildern. Ein chinesischer Automanager, so zeigt es ein Film von RTT, zaubert da mit magischen Handbewegungen ein Auto auf die Bühne wie der Zauberer im Zirkus ein Kaninchen aus dem Zylinder. „Vielleicht“, sagt Kratzer, „entstehen im nächsten Schritt sogar 3D Filme, in denen der Zuschauer sich aussuchen kann, durch welche Kamera er das Geschehen betrachten will“ – ein wenig so, wie heute schon bei manchen Computerspielen.

Tatsächlich ist das Sichtbarmachen des noch Unsichtbaren die stärkste Qualität der computergenerierten Bildwelten. Der wahrscheinlich bekannteste Beleg dafür ist die Ansicht der Hamburger Elbphilharmonie, die schon seit 2007 durch die Medien geistert. Das verheißungsvolle Bild des auch im Jahr 2013 noch unfertigen Baus war Grundlage für politische Entscheidungen und öffentliche Diskussionen und stammt aus dem Rechner von Christian Zöllner und André Feldewert. Die beiden Architekten haben sich mit ihrer Firma Bloomimages auf Raum- und Gebäudevisualisierungen spezialisiert, beschäftigen mittlerweile 20 Mitarbeiter und arbeiten für die bekanntesten Architekturstudios der Welt. Die suggestive Macht der Bilder zu nutzen ist dabei ihr tägliches Geschäft. Soll ein Gebäude in einer schon bebauten Umgebung erst noch genehmigt werden, wählen sie einen Blickwinkel, der es kleiner erscheinen lässt – wegen möglicher Proteste aus der Nachbarschaft. Geht es dann an die Vermarktung, werden die Ansichten charismatischer, leuchtender und größer. „Ja, wenn man so will ist das auch manipulativ“ erläutert André Feldewert, „wir schaffen eine Bühne für die Architektur. Wir suchen die besten Blickwinkel und Brennweiten, wie ein Fotograf“.

Die Technik dafür wird immer besser, vor allem dank enormer Rechenleistungen und immer raffinierterer Software. Die kann, so demonstrieren es Christian Zöllner und André Feldewert in ihrem Studio im Hamburger Schanzenviertel,  sogar die Lichtreflexe von Wasser an Wänden selbständig simulieren. Ist also eine Wasseroberfläche erst mal dargestellt, kommt der Wiederschein des Lichts im Raum ganz automatisch dazu, in fotorealistischer Qualität und auf Wunsch auch als Bewegtbild. Sogar Tiere mit ihren spezifischen Bewegungen sind inzwischen mit überschaubarem Aufwand programmierbar. Nur am Menschen, insbesondere an Gesichtern, scheitern die Rechenkünstler noch immer. Das jedoch liegt nicht an mangelhaften Computern, sondern am Menschen selber. „Wir haben fünfzig mal mehr Hirnkapazität für die Verarbeitung von Gesichtern als für die Verarbeitung anderer Objekte“, erläutert Christian Zöllner. Entsprechend sind Animationen menschlicher Gesichter fünfzig mal schwerer herzustellen als die anderer Objekte – so scharf ist die menschliche Wahrnehmung. Entsprechend scheitern am digitalen Augentrug auch die größten Rechner und besten 3D-Artisten.

Können wir aber einem Foto überhaupt noch trauen, wenn in Zukunft nicht mehr sicher ist, ob es überhaupt eins ist? Sind angesichts der technischen Entwicklung Begriffe wie Fotobeweis und fotografische Genauigkeit nur noch Makulatur?

„Natürlich“, sagt Otmar Kratzer dazu, „führt es zu einer Verzerrung der Realität, wenn keiner mehr weiß, ob das Bild aus einer Kamera oder aus einem Rechner kommt“. Am Ende aber, so ist er sicher, spielt das gar keine Rolle. Schließlich zeigten auch Fotos nicht die Wirklichkeit, sondern einen Ausschnitt daraus, der zudem oft inszeniert ist. „Woran mache ich es denn fest, dass ein Bild fotografiert wurde?“, fragt Kratzer und erläutert, „Als ‚echt’ gilt gemeinhin das leicht Fehlerhafte, wenn zum Beispiel das Licht ‚falsch’ erscheint“. Deshalb gelten für Visualisierung im Lifestyle-Bereich ganz besondere Regeln: Die Produkte dürfen nicht zu perfekt aussehen. Deshalb legen die 3D-Künstler auf die Gläser von Luxusuhren winzige Stabkörnchen oder kleine Fussel auf Stoffe edler Mode-Marken. Die höchste Kunst besteht genau darin, das Unperfekte perfekt zu simulieren.