Exzellente Grafikprogramme läuten das Ende der „fotografischen Wahrheit“ ein.

By | 12. Oktober 2013

Erschienen in: Lufthansa Exclusive 8/2013

 

 

SCHÖNER KLONEN. Den Bildern ist kaum mehr zu trauen, seit deilkate Ansichten am Hochleistungsrechner entstehen. Das Wunderliche daran: Der künstliche Schein darf alles sein, nur nicht perfekt.

Text: Christian Tröster

 

Die Backwaren sind so knusprig, dass man hineinbeissen möchte: Mehlstaub auf dem frischen Brot, die Bagels mit Sesam und die Brötchen so frisch, dass man meint die Kruste beim ersten Biss krachen zu hören. Sinnlichkeit bis ins Detail bieten die Bilder von Bertrand Benoit, tolle Fotos, so möchte man meinen, und nach Objektiven, Brennweiten und Fotografentricks fragen. Doch Benoit ist nicht Fotograf, sondern 3D-Künstler, seine Bilder sind gerechnet, nicht geknipst. Mit der Maus könnte er die Brötchen auf dem Computerbildschirm in eine andere Position bringen, die Software würde deren Schattenwurf automatisch anpassen: Whow! Und wie hat Benoit das gemacht? Mit seinem iPad. Am Anfang der Bildschöpfung standen einzelne Fotos in Smartphone-Qualität, zusammengerechnet von einer kostenlosen App namens 123D Catch. Will heißen: Die Technik der 3D-Visualisierungen produziert nicht nur sensationelle Bilder, sondern ist auch dabei, für jedermann greifbar zu werden. Stehen wir vor einer weiteren Revolution der Fotografie oder besser der Bildproduktion?

„Genau jetzt, nicht vor einem Jahr und auch nicht nächstes Jahr“, kommentiert Uwe Melichar von der Hamburger Agentur Factor Design, „ist fotorealistische Genauigkeit aus dem Computer möglich. Man kann Bilder so rechnen, dass kein Unterschied mehr zur Fotografie erkennbar ist“. Die Waschbecken eines Badherstellers konnte Melichars Agentur auf diese Weise in einem New Yorker Loft zeigen, das gar nicht existiert. Entsprechend einfach sind Korrekturen möglich: das Loft kann mal mit Marmor oder Schiefer  ausgelegt sein und vor dem Fenster kann wahlweise Sommer oder Winter herrschen. Die Technologie für solche Tricksereien gibt es bereits seit fünfzehn Jahren. Doch wartete man damals eine Woche lang auf das Rechenergebnis für ein briefmarkengroßes Bild bekommt man heute eins in Postergröße binnen zwei Stunden. „Man braucht plötzlich überhaupt keine Logistik mehr, nur noch Daten“, erläutert Melichar.

Der Markt für Gebrauchsfotografie ist damit einem radikalem Wandel unterworfen. Agenturen wie Factor Design ersparen sich immer öfter die teuren Photoshootings. „Das ist ein Kostenvorteil“, berichtet Melichar, „zum Beispiel Möbel mit all ihren Varianten zu fotografieren, mit Armlehnen oder ohne und mit verschiedenen Polsterungen, das ist enorm aufwändig“.

Nach ihrem Start in Hollywoodfilmen wurden die computergenerierten Bilder zunächst  in der Automobilindustrie angewandt. „Irgendwann“, so erinnert sich Otmar Kratzer, der an der Realisierung des ersten virtuellen Online-Konfigurators für BMW beteiligt war, „hatten wir so viele Ausstattungs-Varianten, dass es unmöglich wurde, alle zu fotografieren“. Doch obwohl digitale Bilder in Filmen wie Jurassic Park oder Herr der Ringe längst durch die Kinos gelaufen waren, gab  es beim Autohersteller zunächst Widerstände: „Es brauchte viel Überzeugungsarbeit“, erinnert sich Kratzer, der inzwischen ins Management von RTT, einem führenden Anbieter für 3D-Visualisierungen, gewechselt ist. Seit der Gründung 1999 hat das Münchner Unternehmen ein rasantes Wachstum hingelegt, wuchs von 50 auf rund 700 Mitarbeiter und stellt auf Basis von Daten immer realistischere Bilder her – bis hin zu Präsentationen in Augmented Reality. Der amerikanische Begriff steht für eine Anreicherung der Realität mit digitalen Bildern. Ein chinesischer Automanager, so zeigt es ein Film von RTT, zaubert da mit magischen Handbewegungen ein Auto auf die Bühne wie der Zauberer im Zirkus ein Kaninchen aus dem Zylinder. „Vielleicht“, sagt Kratzer, „entstehen im nächsten Schritt sogar 3D Filme, in denen der Zuschauer sich aussuchen kann, durch welche Kamera er das Geschehen betrachten will“ – ein wenig so, wie heute schon bei manchen Computerspielen.

Tatsächlich ist das Sichtbarmachen des noch Unsichtbaren die stärkste Qualität der computergenerierten Bildwelten. Der wahrscheinlich bekannteste Beleg dafür ist die Ansicht der Hamburger Elbphilharmonie, die schon seit 2007 durch die Medien geistert. Das verheißungsvolle Bild des auch im Jahr 2013 noch unfertigen Baus war Grundlage für politische Entscheidungen und öffentliche Diskussionen und stammt aus dem Rechner von Christian Zöllner und André Feldewert. Die beiden Architekten haben sich mit ihrer Firma Bloomimages auf Raum- und Gebäudevisualisierungen spezialisiert, beschäftigen mittlerweile 20 Mitarbeiter und arbeiten für die bekanntesten Architekturstudios der Welt. Die suggestive Macht der Bilder zu nutzen ist dabei ihr tägliches Geschäft. Soll ein Gebäude in einer schon bebauten Umgebung erst noch genehmigt werden, wählen sie einen Blickwinkel, der es kleiner erscheinen lässt – wegen möglicher Proteste aus der Nachbarschaft. Geht es dann an die Vermarktung, werden die Ansichten charismatischer, leuchtender und größer. „Ja, wenn man so will ist das auch manipulativ“ erläutert André Feldewert, „wir schaffen eine Bühne für die Architektur. Wir suchen die besten Blickwinkel und Brennweiten, wie ein Fotograf“.

Die Technik dafür wird immer besser, vor allem dank enormer Rechenleistungen und immer raffinierterer Software. Die kann, so demonstrieren es Christian Zöllner und André Feldewert in ihrem Studio im Hamburger Schanzenviertel,  sogar die Lichtreflexe von Wasser an Wänden selbständig simulieren. Ist also eine Wasseroberfläche erst mal dargestellt, kommt der Wiederschein des Lichts im Raum ganz automatisch dazu, in fotorealistischer Qualität und auf Wunsch auch als Bewegtbild. Sogar Tiere mit ihren spezifischen Bewegungen sind inzwischen mit überschaubarem Aufwand programmierbar. Nur am Menschen, insbesondere an Gesichtern, scheitern die Rechenkünstler noch immer. Das jedoch liegt nicht an mangelhaften Computern, sondern am Menschen selber. „Wir haben fünfzig mal mehr Hirnkapazität für die Verarbeitung von Gesichtern als für die Verarbeitung anderer Objekte“, erläutert Christian Zöllner. Entsprechend sind Animationen menschlicher Gesichter fünfzig mal schwerer herzustellen als die anderer Objekte – so scharf ist die menschliche Wahrnehmung. Entsprechend scheitern am digitalen Augentrug auch die größten Rechner und besten 3D-Artisten.

Können wir aber einem Foto überhaupt noch trauen, wenn in Zukunft nicht mehr sicher ist, ob es überhaupt eins ist? Sind angesichts der technischen Entwicklung Begriffe wie Fotobeweis und fotografische Genauigkeit nur noch Makulatur?

„Natürlich“, sagt Otmar Kratzer dazu, „führt es zu einer Verzerrung der Realität, wenn keiner mehr weiß, ob das Bild aus einer Kamera oder aus einem Rechner kommt“. Am Ende aber, so ist er sicher, spielt das gar keine Rolle. Schließlich zeigten auch Fotos nicht die Wirklichkeit, sondern einen Ausschnitt daraus, der zudem oft inszeniert ist. „Woran mache ich es denn fest, dass ein Bild fotografiert wurde?“, fragt Kratzer und erläutert, „Als ‚echt’ gilt gemeinhin das leicht Fehlerhafte, wenn zum Beispiel das Licht ‚falsch’ erscheint“. Deshalb gelten für Visualisierung im Lifestyle-Bereich ganz besondere Regeln: Die Produkte dürfen nicht zu perfekt aussehen. Deshalb legen die 3D-Künstler auf die Gläser von Luxusuhren winzige Stabkörnchen oder kleine Fussel auf Stoffe edler Mode-Marken. Die höchste Kunst besteht genau darin, das Unperfekte perfekt zu simulieren.

 

 

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