Grüne Welle

By | 21. Oktober 2013

Architektur & Wohnen 2/09

Der Trend in der Baubranche heißt Nachhaltigkeit. Kaum ein Architekt, Konzernlenker oder Bürgermeister bringt mehr ein Projekt ohne Öko-Konzept auf die Schiene.

Text: Christian Trösteraw_grünewelle

Kann ein Parkhaus ökologisch korrekt sein? Oder sind „grüne Parkhäuser“ eine Absurdität wie Zigaretten mit Bio-Tabak: Krebs erregend, das aber wenigstens gesund? Wie auch immer man die Frage beantwortet: in Santa Monica Kalifornien steht seit letztem Jahr tatsächlich ein Parkhaus mit Öko-Siegel. Einerseits ist es Funktionsbau für die individuelle Motorisierung, also ökologisch eher fragwürdig. Andererseits stellt es neben 900 PKW-Stellplätzen auch Ladestationen für Elektroautos und kostenlose Fahrradboxen zur Verfügung – ein Pluspunkt in der Öko-Bilanz. Die Energie für den täglichen Betrieb stammt aus Solarzellen und das aufgefangene Regenwasser wird von Ölresten gereinigt, bevor es ins öffentliche Siel entlassen wird. Für all das wurde das Parkhaus nach dem amerikanischen LEED-System für nachhaltiges Bauen mit dem Gold-Standard zertifiziert: das weltweit erste Öko-Parkhaus.

Mögen Graswurzel-Fundamentalisten angesichts solcher Beispiele auch aufschreien, das Civic Center Parking ist exemplarisch für die Architektur des beginnenden Jahrtausends: es setzt auf Machbarkeit statt auf Utopien, zieht die kleine Einsparung heute der großen Lösung irgendwann vor und sieht dabei eher nach iPod als nach Wollstrumpf aus.

So ähnlich wie das Parkhaus versuchen es viele. Nachhaltigkeit ist der Megatrend der Bauindustrie geworden und kaum ein Architekt, Konzernlenker oder Bürgermeister bringt mehr ein Projekt ohne Öko-Konzept auf die Schiene. Das Ziel: werthaltigere Immobilien zu schaffen und die eigenen Betriebskosten radikal zu senken.

 

Die Flaggschiffe dieser Bewegung sind Bauten, die schon durch ihre Funktion dem Thema verpflichtet sind. So erreicht etwa

San Franciscos Academy of Sciences, eröffnet 2008, durch ihr begrüntes Dach einen besonders hohen Grad an Nachhaltigkeit. Auf der 41.000 Quadratmeter großen Fläche sollen einmal 1,7 Millionen einheimische Pflanzen wachsen und die Räume darunter vor Hitze und Kälte schützen. Schon heute werden sie durch einen natürlichen Luftstrom klimatisiert und bis zu zehn Prozent der Energie im Haus stammen aus Photovoltaik. Auch in Deutschland bestimmt die Ökologie längst Form und Funktion von Gebäuden mit. So wählten Sauerbruch Hutton Architekten für das Umweltbundesamt in Dessau eine besonders kompakte Form, minimierten so die Fassadenfläche und bestückten das Gebäude zusätzlich mit Öko-Hightech vom Luft-Erdwärmetauscher, über eine Photovoltaikanlage bis zu thermischen Solarkollektoren.

Was die westlichen Länder vor machen, wird sogar in Staaten imitiert, die bislang als die größten Umweltsünder verschrien waren. So verordnete Scheich Mohammed bin Rashid al Maktoum von Dubai seinem Land kurzerhand Bauvorschriften, die am amerikanischen LEED-System orientiert sind. In Bahrain wurde jüngst – eine Weltpremiere – ein Doppelhochhaus mit drei Windrotoren à 29 Meter Durchmesser eröffnet. Der Luftzug zwischen den Türmen soll die Turbinen antrieben. In Abu Dhabi schließlich soll sogar eine ganze CO2-neutrale Millionenstadt entstehen, geplant vom Londoner Büro Foster and Partners.

Bei so viel Aktionismus bleibt der Vorwurf der Symbolpolitik nicht aus. Es gäbe, lästert etwa der deutsche Architekt Christoph Ingenhoven, selber ein Propagandist nachhaltigen Bauens, nun wirklich bessere Orte für eine CO2-neutrale Großstadt als, als ausgerechnet die Wüste.

Der Begriff der Nachhaltigkeit, so zeigt sich an solchen Fällen, ist dehnbar wie der der Schönheit: jeder stellt sich etwas anderes darunter vor; schmücken aber wollen sich alle damit. Denn die Resonanz für derartige Projekte im Publikum ist so groß, dass in der Immobilienbranche Grün schon als neues Gold gilt: Bauten mit Öko-Label lassen sich besser vermieten und sind gut fürs Image.

Ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammend, bezeichnet das Wort Nachhaltigkeit eine systemerhaltende Wirtschaftsweise. Doch seit das System nicht mehr nur Bäume meint, wirft jeder Eingriff Fragen auf. Ist etwa die Verwendung von Aluminium eine Umweltsauerei, weil zu seiner Herstellung enorm viel Energie aufgewendet wird? Oder ist sie zu loben, weil das Metall problemlos recycelt werden kann? Sind Wärmedämmverbundsysteme an den Fassaden von Wohnhäusern positiv zu bewerten, weil sie Energie sparen helfen? Oder negativ, weil sie aus bis zu zwanzig verschiedenen Materialien zusammengeklebt sind? Das nämlich hat katastrophale Folgen bei der späteren Entsorgung und der Umfang des Problems ist in der öffentlichen Wahrnehmung kaum angekommen: die Bauwirtschaft in Deutschland ist für die Hälfte aller Masseabfälle im Lande verantwortlich.

Alle Gebäude, das ergibt sich aus solchen Fragestellungen, müssten in einem komplizierten Prozess des Abwägens nicht nur auf Wärmedämmung, Energieverbrauch oder Wohngifte geprüft werden, sondern auf den ökologischen Fußabdruck im Laufe ihres Lebenszyklus, inklusive CO2-Ausstoß bei Produktion, Transport und Entsorgung. Aus dieser Perspektive ist ein Einfamilienhaus im Grünen, selbst wenn es phantastisch gedämmt ist, ungefähr so korrekt wie die Bio-Zigarette. Nachhaltiger wäre es, in der Stadt zu wohnen, auf der Etage mit weniger Außenwänden und kürzeren Wegen zur Arbeit.

Welchen Stellenwert nach solchen Analysen die Pariser Bürostadt La Defense einnehmen würde, ist offen. Sicher aber ist, dass die Nachhaltigkeitswelle inzwischen auch dort angekommen ist. Sicher ist auch, dass sie die Silhouette der Stadt verändern wird. Gleich neben der bisher dominierenden Grande Arche (110 m) wird ein wulstig verdrehter Öko-Turm von fast dreifacher Höhe errichtet. Das Le Phare (Leuchtturm) genannten Hochhaus des Architekten Thom Mayne soll sechs Monate im Jahr ohne externe Energiezufuhr auskommen unter anderem durch eine doppelte Fassade auf der Südseite (Kühlung und Ventilation) und großzügige Belichtung auf der Nordseite. Energie zu sparen helfen auch Fahrstühle, die nur in jedem dritten Stockwerk halten. Damit auch jeder sieht, wie viel Öko-Bewußtsein hier verbaut wurde, wird auf dem Dach, in dreihundert Metern Höhe, ein Mini-Windpark installiert. Und die Konkurrenz schläft auch hier nicht: Gleich daneben wird der fast ebenso hohe Turm der Generali-Versicherung mit Etagengärten, Windmühlen und über tausend Quadratmetern an Solaranlagen protzen.

Was für Paris richtig ist, kann für London nicht falsch sein. Dort wird die ohnehin schon riesige Battersea Powerstation zu einer nachhaltigen Business-Immobilie erweitert. Die vorab veröffentlichten Bilder zeigen ein 300 Meter hohes Hochhaus neben dem historischen Kraftwerk und üppiges Grün unter einem Plastik überspannten Öko-Dom. Der Energieverbrauch des Megakomplexes – geplant sind 750,000 Quadratmeter an Wohnungen, Büro- und Ladenflächen – soll 67 Prozent unter dem konventioneller Anlagen liegen, unter anderem auch deshalb, weil ein interner Schlot im Hochhaus die verbrauchte Luft nach oben saugen soll.

Die Größe dieser Projekte weist zugleich auf einen Aspekt hin, der wegen seiner Offensichtlichkeit gerne übersehen wird: das schiere Materialvolumen. Pro Quadratmeter gebauter Fläche muss man heute mit 1200 kg an Material rechnen. Wollten etwa die Chinesen pro Person ähnlich viel Wohnraum beanspruchen wie die Deutschen, so müßten dort in den nächsten Jahren 50 Milliarden Quadratmeter an neuem Wohnraum entstehen. Dafür würden, so hat es der Ingenieur Werner Sobek ausgerechnet, 60 Billionen Kilogramm an Material benötigt, wohlgemerkt alleine für Wohnungen, alleine in China. Könnte man die Häuser leichter konstruieren, ließen sich für das genannte Rechenbeispiel immerhin 20 Billionen Kilogramm an Baumaterial sparen. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass jedes einzelne Gebäude einen massiven Eingriff in das ökologische System bedeutet.

Wenigstens eines aber, so die Hoffnung in vielen Ländern, läßt sich im Dickicht der Umweltparameter versuchsweise herstellen: Vergleichbarkeit. Denn was, so fragen sich Architekten und Bauherren, soll der gemeinsame Maßstab für eine Schule in Holzbauweise, ein Bürohochhaus aus Beton und beispielsweise einer Konzerthalle sein? Wie soll man die Verwendung von Aluminium hier und Tropenholz dort mit Solarzellen, wasserfreien Urinalen, Flächenverbrauch pro Arbeitsplatz, doppelter Fassade oder Windrädern auf dem Dach verrechnen? Dies zu systematisieren hat sich die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen zur Aufgabe gemacht. Sie vergibt in Anlehnung an das amerikanische LEED-System nun auch in Deutschland ein Öko-Siegel für Gebäude. Damit können Bauherren erstmals die Nachhaltigkeit ihrer Immobilie nicht mehr nur behaupten, sondern dokumentieren.

Doch für viele ist auch dieses wieder nur ein Schritt auf einer langen Reise. „Was wir in der Architektur als Hightech bezeichnen, ist im Bereich des Maschinenbaus schon seit Jahrzehnten Usus“, hat etwa Werner Sobek beobachtet. Er prophezeit Gebäude, die komplett digitalisiert sind und deren Betrieb individuell gesteuert werden kann. Und Architekt Christoph Ingenhoven fordert: „Wir müssten viel radikaler sein. Die große Hoffung wäre doch, dass es keine Abhängigkeit mehr vom Erdöl gibt und zwar schon früher als in hundert Jahren“. Und auch: „Wir werden uns noch wundern, wie weit wir uns dabei von unseren stilistischen Fragen wegbewegen werden“.

 

 

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