Wenn ein Avantgarde-Architekt einfach mal so eine Wohnung erweitert, kann man ein blaues Wunder erleben – wie die drei eigenwilligen Häuschen zeigen, die Winy Maas einer Rotterdamer Familie auf ihr Loft setzte.
Rotterdam – „Das ist nicht wahr“, denkt jeder, wenn er Fotos der drei knatschblauen Häuschen auf dem Dach einer alten Textilfabrik in Rotterdam sieht. Man hält das Ensemble für eine Computersimulation, nicht für gebaute Architektur. Doch die Häuser sind echt, sie dienen als Erweiterung des darunter liegenden Lofts.
Die Bewohner: der Perückenmacher Sjoerd Didden, der weltweit Musicals ausstattet und sein Atelier im gleichen Gebäude hat, seine Frau Ghislaine van de Kamp und ihre Söhne Jan und Gidius. Der Architekt: Winy Maas, einst Mitarbeiter von Rem Koolhaas, Mitbegründer des Büros MVRDV in Rotterdam und ein Branchenstar. Urbanen Wohnraum verdichten, lautet sein Credo.
Hier löst er es mit einem Entwurf ein, der traditionelle und kleinbürgerliche Formen zu einem praktischen Spaßbau überhöht. „Didden Village“, 2007 realisiert, ist schon jetzt das populärste Projekt von MVRDV. Wie wohnt es sich darin? Wir haben Ghislaine van de Kamp gefragt.
A&W: Schön blau ist Ihr Haus. Wie kam es zu dieser Farbe?
van de Kamp: Das war eine Empfehlung unseres Architekten Winy Maas.
A&W: Wie konnten Sie ihn gewinnen? Er hat eigentlich anderes zu tun, als Privatwohnungen zu erweitern.
van de Kamp: Wir sind mit ihm befreundet. Er besuchte uns, als wir vor zwölf Jahren in den Loft zogen, und sagte schon damals: Ihr solltet was da oben machen.
A&W: Vor dem Umbau hatten Sie nur die Etage darunter?
van de Kamp: Ja, sie ist zwar 120 Quadratmeter groß, bietet aber wenig Privatheit. Solange unsere Söhne klein waren, ging das. Sie schliefenin einer Gartenlaube vor dem Bücherregal.
A&W: In einer Gartenlaube?
van de Kamp: Ja, aber einer schönen!
A&W: Sie hätten doch Wände einziehen können.
van de Kamp: Mit dem Dachaufbau haben wir unsere Fläche verdoppelt. Dafür mussten wir eine Weile auf einer Baustelle leben. Für die Arbeiter gab es ja keinen anderen Zugang zu der Baustelle als durch unsere Wohnung.
A&W: Das klingt nicht wie ein Spaß.
van de Kamp: Es kam nicht über uns wie eine Naturkatastrophe, aber das Ergebnis war ungefähr das gleiche.
A&W: Hat es sich denn gelohnt?
van de Kamp: Wir sind sehr glücklich damit. Die Kinderzimmer stehen nun nebeneinander auf dem Dach, jedes in einem Haus. Sie sind verbunden, können aber durch ein Schieberegal getrennt werden.Das Haus für unser Schlafzimmer mit Bad und WC steht separat davon. Beide Bereiche sind über Wendeltreppen zu erreichen. Die Stufen zu den Jungenzimmern sind schmaler, aber in Form einer Doppelhelix angelegt – eine Treppe als Aufgang, eine als Abgang.
A&W: Zurück zu dem Blau: Wollten Sie unbedingt eine so intensive Farbe?
van de Kamp: Ja, Winy kam mit fünf Farbmustern zu uns, alle blau, und sagte: Eines davon sollte es sein. Wir haben dann einige Wände großflächig angestrichen und uns entschieden. Der Ton soll an die Farbe des Himmels erinnern, zugleich ist er so intensiv, dass er betont künstlich wirkt.
A&W: Auf den ersten Blick vermutet man, die Häuser seien aus durchgefärbtem Plastik. Sie sehen aus wie gegossen.
van de Kamp: Sie bestehen aus Schichtholzplatten, die mit Polyurea versiegelt sind. Ein extrem haltbarer Kunststoff, wir haben dreißig Jahre Garantie darauf. Er wird im Pentagon eingesetzt, um künftig die Räume nach Bombenanschlägen vor dem Einsturz zu bewahren. Uns reicht jedoch, dass es die Rollerskates der Kinder aushält. Aber farbecht ist es nicht. Also wurde es mit Polyurethanlack übergespritzt, blau auf blau.
A&W: Der starke Eindruck des Hauses scheint aber nicht nur in der Farbe zu liegen.
van de Kamp: Er kommt auch dadurch zustande, dass es die reine, platonische Idee eines Hauses ist. Vier Wände und ein Dach, das ist alles. Es gibt keine Details. Die hätten kitschig ausgesehen. Dazu ist der gesamte Aufbau einheitlich gestrichen: vom Fußboden über Tische und Blumentöpfe bis zum Vogelhaus. Als Kontrast dazu sind die Schlafräume innen mit Birkenholzfurnier verkleidet, das Bad und die Dusche in Rot und Orange gestrichen.
A&W: Bereitet die Kunststoffschicht nicht Probleme mit Luftzirkulation, Schwitzwasser oder Schimmelbildung?
van de Kamp: Nein, es gibt kleine Öffnungen zur Belüftung, das ist alles wissenschaftlich untersucht. Das Haus ist auf einigen Designseiten im Internet publiziert, da werden ahnungslose Kommentare abgegeben: Die Treppen könnten niemals halten und sowas. Das Haus sieht zwar aus wie eine Verrücktheit, aber es ist total logisch. So nutzen wir jeden Quadratzentimeter des Daches, weil das Gewicht der Konstruktion auf den Außenmauern ruht.
A&W: Kommen denn Architektur-Touristen vorbei?
van de Kamp: Manchmal klingeln welche. Aber wir lassen sie nicht mehr herein, es ist ja ein Privathaus.
A&W: Was sagen die Nachbarn?
van de Kamp: Die positiven Reaktionen überwiegen. Wenn wir Kritik gehört haben, dann die, dass sich der Aufbau nicht in die Umgebung einpasse. Aber wo steht, dass immer alles passen muss? Eine historische Fake-Architektur auf dem Dach hätte den Altbau unkenntlich gemacht und ihm damit seine Würde genommen.
Text und Interview: Chrisitian Tröster