Kaufen als Lust und Laune

By | 21. Oktober 2013

Lufthansa Exclusive 4/2013

MikundaDer Wiener Marketing Dramaturg Christian Mikunda untersucht Die Attraktivität von Shopping Maus und Läden.In Zeiten, in denen Onlinehändler immer mehr Umsätze an sich ziehen, ist er ein gefragter Ratgeber. Weil er die Gefühle, die den Konsum anfachen, Anbau und Dekoration festmachen kann.

Text: Christian Tröster

Shopping ist sein Beruf, aber kaufen tut er nichts. Wenn Christian Mikunda ein Geschäft betritt, lassen ihn Hemden und Schuhe kalt, er beobachtet lieber den Raum: Wie wird der Besucher geführt? Welche Geschichte wird erzählt und mit welchen Mitteln? Ist das Bild stimmig, interessant, oder sogar verlockend? Christian Mikunda ist Europas führender Shop-Experte und Fachmann für Verführung, Drama und Wirkung. Gerade bereitet er seine hundertste Shop-Expedition vor, eine Erkundungsreise zu den angesagtesten Läden von Miami bis Singapur. Und wenn er seine Pläne und Theorien dazu dann ausführlich erläutert hat, sagt er Sätze wie: „Für das Verkaufen interessiere ich mich Null“. Immerhin überraschend für einen, der Einzelhändler berät und Shopping Malls inszeniert.

„Man geht ja in ein Geschäft nicht nur um zu kaufen“, erklärt er dann, „das war noch nie so. Der Handel ist in der Freizeitindustrie angekommen“. Deshalb sollte er Räume so in Szene setzen, dass die Menschen ihre Freizeit gerne dort verbringen. Der Rest, das Kaufen, ist Mikunda überzeugt, kommt dann von ganz alleine.

Ausgerüstet mit so viel Gelassenheit entdeckt er zwischen Honkong und New York Shoppingwelten, die immer aufwändiger werden. Da liegen nicht einfach Waren in den Regalen, das einkaufen wird inszeniert mit Showtreppen und Lichtspektakeln, hunderten von alten Nähmaschinen, halbnackten Tänzern, historischen Kostümen, echter Kunst oder hydraulisch bewegten Wänden. „Manche der Läden,“, berichtet er, „sind am Ende so spektakulär, dass man dafür sogar extra nach New York fliegen würde“. Gemeint ist damit zum Beispiel der Armani Store an der 5th Avenue, wo sich eine Treppe so exaltiert durch den Raum schwingt, als hätte der Architekt sich nicht von den Gesetzen der Statik, sondern von Rauchschwaden inspirieren lassen. Vorbilder für solche Bauwerke liegen in Barock und Manierismus – bloß dass die Effekte heute nicht der Kirche, sondern dem Konsum zugute kommen.

Um aus solchen Entdeckungen eine Wissenschaft zu machen, musste der studierte Theatermann Mikunda sich seinen Beruf selbst erfinden. Zunächst arbeitete er als Dramaturg bei Film und Fernsehen, doch daneben nahmen ihn die Inszenierungen des wirklichen Leben immer mehr gefangen. „Nicht ich habe diesen Beruf entwickelt – dieser Beruf hat mich gefunden“, sagt er, und aus dem Dr.phil. wurde auf diese Weise Dr. Shop. Und der stieß bei seinen Expeditionen immer tiefer in bislang unerforschtes Terrain vor. Denn die Gestaltung von Geschäften war bis dahin eher im Ungefähr von Marketing, Ladenbau, Dekoration und Warenpräsentation angesiedelt. Eine eigene Terminologie und Theorie dafür gab es kaum. Andererseits aber eine hoch entwickelte Kultur, die mit Technik und Phantasie spektakuläre Ergebisse erzielt. „Wenn Sie in eine Filiale von Abercrombie & Fitch gehen“, begeistert Mikunda sich über die amerikanische Textilkette, „sehen sie dramatisch kontrastiernde Lichteffekte, die auf den Renaissancemaler Caravaggio zurückgehen“. Stategische Dramaturgie taufte er sein selbst entdecktes Arbeitsfeld, entwickelte damit auch eine Theorie der Wirkungssteigerung und reist seither als Berater, Prophet und Lehrer um die Welt. „Ein Einkaufszentrum als Klotz am Parkplatz“, doziert er, „ist wirlich kein verheißungsvoller Ort. Man muss der Mall ein Gesicht geben, eine Promenade schaffen, die den Kundenfluss sowohl in die Tiefe als auch in die Höhe zieht“. Der ewige Feind dabei ist die Ermüdung der Kunden. Ihr gelte es durch kleine und große Sensationen entgegenzuwirken.

Besonders begeistert sich Mikunda derzeit für die Filialen von Abercrombie & Fitch. Dorthin würden die Menschen wie in eine Disco gehen, angelockt von tanzbarer Musik, halbnackten Jungs, sowie einem Duft, der nicht in den Raum, sondern direkt auf die Ware gesprüht wird. Das alles sei so geschickt abgemischt, dass es den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern würde, sogar wenn sie gar nichts kauften.

Zweifel an der Kommerzialität solcher Inszenierungen sind ihm fremd: „Natürlich sind solche Orte auch ihre eigene, begehbare Werbung“. Daraus aber habe sich eine eigene Kultur entwickelt, die auch als solche verstanden würde. „Die Menschen besichtigen in einer fremden Stadt nicht mehr nur die Insignien der Orbrigkeit aus vergangenen Jahrhunderten, sondern auch Shops und Gastronomie. Die Inszenierungen darin funktionieren wie im Film oder im Theater. Wer da eine Geschichte erzählt, ist nicht ein Lügner, sondern kann Wahrhaftigkeit erreichen“.

Sogar in solchen Fällen wie dem Dover Street Market in London und Tokio. Die Concept-Stores der japanischen Textilkette Comme des Garcons stehen für einen Trend, den Mikunda Rough Lux nenne – rauhen Luxus. Tatsächlich werden da Kleider der Kategorie 1000 Euro und aufwärts in rostigen Wellblechhütten präsentiert, sauber geputzte Slum-Ästhetik für die Happy Few. „Die Menschen wissen solche Konzepte offenbar zu goutieren“, sagt Christian Mikunda, „sie sprechen darüber und kommentieren das fachmännisch, so wie einen Besuch im Museum“.

Auf diese Weise würden die Themenwelten zu Geschenken an die Kunden, Geschenke, die ihnen gute Gefühle bereiteten. Und die könne man ganz gut kalkulieren, indem man räumliche Spannungsbögen aufbaut, sie in ruhigere Phasen überführt um dann erneut das Tempo anzuziehen. Die dazugehörigen Hochgefühle heißen nach Mikunda Freude und Entspannung, Begehren und Bewunderung, insgesamt sieben Stück, entsprechend der Todsünden in der christlichen Sittenlehre. Bloß eben ins positive gewendet. Für die Shopgestalter käme es darauf an, diese Gefühle in richtiger Weise zu kombinieren  – so dass der Kunde emotionale Entlastung erfahre, sein Interesse zugleich aber wachgehalten würde.

Ganz freiwillig geschieht die immer aufwändigere Inszenierung der Warenwelt im Übrigen nicht. Immer größere Teile des Umsatzes fließen an den Ladengeschäften vorbei in den Internethandel – in Deutschland sind es dezeit rund acht Prozent mit weiter kräftigen Wachstumsraten. „Noch vor 10 bis 12 Jahren war man in den Unternehmen nicht bereit, für die Erlebnishaftigkeit Geld auszugeben“, erinnert sich Mikunda, „Das wurde ihnen von den Controllern untersagt. Heute gibt es diese Angst, auch die weichen Faktoren zu planen, nicht mehr in diesem Ausmaß“. Zu Konsum-Junkies sind er und seine Familie mit dem neuen Beruf dann aber doch nicht. Wo immer es geht, rät er seinen Kunden, zum Beispiel die Süßigkeiten vor der Kasse zu entfernen, damit die Kunden nicht zusätzlich gestreßt werden. „Und zu meinem Sohn sage ich auch immer: Du musst nicht alles haben, was du toll findest“.

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