Author Archives: Christian Tröster

Buch: Das Sophienpalais

Modernes Wohnen hinter historischer Fassade. Mein neues Buch beschreibt auf 128 Seiten die Transformation eines denkmalgeschützten Verwaltungsbaus in Hamburg-Harvestehude. Der Umbau erwies sich als hochkomplexes Unterfangen, das Architekten, Ingenieuren, Denkmalschützern und nicht zuletzt dem Investor vieles abverlangte. Doch der Aufwand hat sich gelohnt. Es entstanden moderne und hochklassige Apartments, die eingebettet sind in das Quartier der Sophienterrassen und den Stadtteil Harvestehude.

Unmöglich gibt’s nicht

Ellen van Loon ist in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt. Doch sie ist eine der großen, radikalen Architektinnen der Gegenwart.

ICON Magazin Oktober 2018       Ellen van Loon, Büropartnerin bei Rem Koolhaas‘ OMA, hat den Axel Springer Campus in Berlin entworfen. Der Bau ist wie sie selbst: Angstfrei, offen und kompromisslos in der Sache. Christian Tröster traf sie in Rotterdam.

Vielleicht muss man als Kind auf einem Schiff gelebt haben um so zu werden wie Ellen van Loon. Die niederländische Architektin führt als Partnerin eines der radikalsten und anspruchvollsten Architekturbüros der Welt, betreut Groß-Projekte von Kopenhagen bis Korea und sagt: „Ich glaube, ich haben einfach keine Angst. Ich mag Projekte, die alle anderen für unmöglich halten. Das ist für mich der Antrieb”. Die fremden Häfen der Kindheit, ein Leben im Fluss, auf einem Binnenschiff, die gigantischen Dimensionen von Frachtern und Werften, die ungewohnten Perspektiven – all das mag Ellen van Loon geprägt haben.

Heute blickt sie von ihrem Büro in Rotterdam über den Himmel ihrer Heimatstadt. Sie arbeitet im sechsten Stock eines pragmatischen 70er Jahre Hochhauses. Nüchtern sind darin auch die Räume von OMA, dem Office for Metropolitan Architecture. Man würde kaum glauben, dass in den belanglosen Großraumbüros eine der wichtigsten Architekturfabriken der Welt residierte, wären da nicht diese irritierenden Modelle. Ein Gebäude mit einer Hülle aus Aluminiumschaum – seltsam ist noch der harmloseste Ausdruck dafür. Dann ist da ein Modell von drei Hochhäusern, die fast ängstlich eng zusammengerückt sind – „de Rotterdam“, die höchsten Häuser der Stadt und zusammen ein vertikales Universum aus Behörden, Wohnungen, Hotel und Museum. Oder ein Modell der Casa de Musica in Porto, ein Konzerthaus, gestaltet als seltsam verzerrter und facettiertes Betonobjekt. Man versucht, sich in die komplexen Formen einzulesen, bis Ellen van Loon zum Gespräch erscheint. Tiefenentspannt und wach zugleich gibt sie Auskunft über die Arbeit als eine der gefragtesten Architektinnen der Welt. Nur manchmal, ganz kurz, blitzt da die Freiheit und Frechheit auf, die die Architektur von OMA ausmacht. „Wir mögen keine Kompromisse“, sagt sie. Oder: „Wir entwerfen manchmal Sachen, da fragen wir uns selber, wie das gehen soll.“

Viele der Modelle zeigen ihre Gebäude. Der Entwurf der gigantischen Zentralbibiothek in Katar stammt von ihr und die Zentrale der Modemarke G-Star-Raw, die aussieht wie ein Hangar. Ihr aktuellstes Projekt ist der Axel-Springer-Campus in Berlin und wenn nicht ‚unmöglich‘, so wird dieses Gebäude ganz sicher eines der herausragendsten, ehrgeizigsten und modernsten in Berlin werden. Es soll für die Transformation der Medienbranche und für die Digitalisierung der Wirtschaft als Ganzes stehen und eine Brutstätte für Kreativität, für Austausch und moderne Arbeit werden.

Doch wie sieht so etwas konkret aus? Zunächst: Der Axel-Springer-Campus ist ein Block. Doch statt den Lichthof konventionell in die Mitte zu setzen fräste Ellen van Loon ihn wie ein 40 Meter tiefes Tal diagonal durch das Gebäude – die Belichtung erfolgt über die Ecken, die sich wie gigantische Haifischmäuler öffnen. Innen, an den Talhängen, staffeln sich die Büros mit offenen Terrassen und quer hinüber läuft eine 26 Meter breite Brücke, in der später der Newsroom der „Welt“ untergebracht werden soll. Das Ganze wirkt wie eine Installation, irgendwo zwischen Kathedrale und Fritz Langs Metropolis. De facto ist es ein nach innen gestülpter und in drei Dimensionen gestapelter Campus, in dem kleinere Einheiten mit- und nebeneinander arbeiten sollen.

Ellen van Loons Entwurf würde in jeder Stadt Aufsehen erregen. In Berlin aber sprengt er den Rahmen des Üblichen – man denke an die Stein gewordene Einfallslosigkeit rund um den Hauptbahnhof. Viel zu hoch für die örtlichen Bauvorschriften war der Vorschlag dann auch noch.  „Es ist eine unserer Spezialitäten, solche Bauhöhen durchzukriegen“, erklärt die Architektin selbstbewusst – wie das geht, dazu später mehr. Vielleicht aber hat ihr im konkreten Fall geholfen, dass sie fließend Deutsch spricht. 1991 kam sie als junge Architektin nach Berlin und erlebte eine wilde, freie und seltsame Stadt: „Es gab Wohngemeinschaften, in denen mit den Herdplatten geheizt wurde. Im Prenzlauer Berg fehlte die Straßenbeleuchtung und an der einzigen Telefonzelle standen die Menschen 30 Meter Schlange. Und dann all diese geheimnisvollen Kellerbars…“ Ellen van Loon war damals 28 und die Stadt, nach dem Mauerfall im Auf- und Umbruch, entsprach ihrem Lebensgefühl. Eine Woche nach ihrer Ankunft hatte sie Arbeit und Wohnung gefunden – auch so etwas gab es einmal in Berlin. Geplant war ein Aufenthalt von einem Jahr, es wurden fünf, vor allem, weil sie für Norman Foster am Reichstag mitarbeitete. Als sie nach Holland zurückkehrte, war sie mit ihrer ersten Tochter schwanger, eine zweite kam wenige Jahre später, die Mädchen sind heute junge Erwachsene.  Auch wegen der Familie suchte Ellen eine Arbeit, bei der sie spätestens um 18 Uhr Feierabend war. Die fand sie auch, „aber das war so langweilig, dass ich dachte: wenn das mein Leben ist, habe ich keine Lust mehr auf Architektur“. Und dann begegnete sie Rem Koolhaas, dem großen Radikalen, dem Freidenker und Provokateur der Gegenwartsarchitektur. Er ist der Gründer und Frontmann von OMA. „Das Bewerbungsgespräch dauerte den ganzen Tag“, erinnert sich Ellen, will heißen, sie arbeitete gleich mit, ihre Expertise und ihre Ideen waren gefragt. Und sie ist geblieben, 21 Jahre ist sie nun bei OMA und führt als eine von neun Partnern bedeutende Projekte.

Ihre Feuertaufe als Partnerin erlebte sie 2005 bei der Casa de Musica, einem Konzerthaus in Porto, das bis heute als eines der wichtigen Bauten von OMA gilt. Es war eine anspruchsvolle Aufgabe und zugleich das Gebäude, bei der sie jede Angst verlor. „Ich dachte, ich würde das niemals schaffen. Aber dann ist mir klar geworden, dass ich keine Angst haben muss. Ich muss mein Hirn benutzen und mein Team mit einbeziehen. Wir arbeiten bei OMA mit verdammt guten Leuten und verdammt guten Ingenieuren zusammen“.

Seither hat sie zahlreiche Großbauten realisiert und sagt: „Je komplexer ein Projekt ist, desto mehr Freude macht es mir“. Und ja, mit Rem Koolhaas gestritten habe sie sich auch schon mal, sogar angeschrien, das gehöre dazu. Doch natürlich überwiegt die partnerschaftliche Arbeit. „Man kann bei uns in sehr unterschiedlichen Konstellationen arbeiten. Jeder arbeitet selbständig. Aber es ist schön, dass man manchmal auch nicht selbständig ist. Weil es hilft, eine Sache aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet zu bekommen.“ OMA sei kein Stuio, in dem ein genialischer Chef eine Skizze mache und andere arbeiteten das dann aus. „Wir sind ein sehr experimentelles Büro, wir probieren viel aus und da ist es besser, wenn man mit mehreren zusammenarbeitet.“

So kooperativ das angelegt ist, ab einem bestimmten Punkt kommt dann die Stunde der Kompromisslosigkeit. Jedes Projekt, weiß Ellen van Loon, ist in Gefahr zerredet und verwässert zu werden. „Man beginnt mit dem Bauherrn in kleiner Runde, vielleicht sechs Leute. Aber ein Projekt zieht sich über Jahre hin und am Ende sind hunderte von Menschen involviert.“ Jeder davon hat eine Meinung, nicht immer aber ein Verständnis des Gesamtentwurfs. Und die bekommen es dann mit Ellen van Loon zu tun. „Nach der Kreativität ist es die wichtigste Aufgabe dafür zu sorgen, dass das Projekt auch in der Qualität realisiert wird, wie man es geplant hatte. Da muss man unheimlich viel lernen auf der Ebene des Managements.“ Dafür kämpft sie, „Ich bin direkt, ich habe eine Meinung und ich drücke sie auch aus.“

Augenmaß und politischer Klugheit sind dann in einer späteren Phase nötig, um die Entwürfe auch zu realisieren. Da ist zum Beispiel die Frage nach den Bauhöhen, zum Beispiel in Berlin. Persönliche Gespräche seien wichtig, sagt Ellen van Loon, man müsse die Akteure und Entscheider auf politischer Ebene kennen und gute Gründe für seine Vorschläge haben: „Man kriegt große Projekte nur durch, wenn man der Stadt etwas zurückgibt, wenn sie lebendiger und schöner wird“. Also erhielt der Axel-Springer-Campus straßenseitig Cafés und Restaurants und oben drauf eine Grünfläche, die mehr ein kleiner Park als eine Terrasse ist. „Unsere Ideen haben immer etwas mit dem Ort zu tun und der Geschichte“, sagt sie, „da sind die Leute empfindlich.“ In Berlin war das legendäre und nie realisierten Hochhaus von Mies van der Rohe ein Bezugspunkt. Das Projekt von 1921, das in keiner Vorlesung über moderne Architektur fehlen darf, wäre das erste gläserne Hochhaus der Welt geworden, an der Friedrichstraße, noch dazu für einen Verlag. Der Axel Springer-Campus nimmt Elemente von dessen Fassadengestaltung auf und setzt damit ein wohlüberlegtes Zeichen für Innovationskraft und Optimismus, mitten in Berlin.

„Unsere Vorschläge fühlen sich manchmal so an, als ob sie extrem seien“, sagt die Architektin, „aber im Grunde genommen sind sie funktional, analytisch und konzeptuell, wir sprechen damit nur etwas aus, was andere sich nicht auszusprechen trauen“. Perfekt seien die Ergebnisse trotzdem nicht, „Es gibt kein perfektes Gebäude. Wenn es das gäbe, würden alle Häuser gleich aussehen, wer will denn das?“ Zufrieden aber sei der Auftraggeber fast immer: „Selbst wenn wir uns gestritten haben und Dinge umgesetzt haben, die er nicht wollte. Am Ende ist er froh, dass wir das durchgeführt haben.“ Vielleicht muss man auf einem Schiff aufgewachsen sein, in Berlin nach dem Mauerfall gearbeitet, ‚unmögliche‘ Gebäude entworfen und zwei Töchter neben einem Fulltime-Job groß gezogen haben, um so zu agieren. Ein Segen für die Architektur, für das freie Denken und für Berlin ist die Arbeit von Ellen van Loon allemal.

Alles Originale

ICON Magazin Oktober 2018    Das Bauhaus wird 100 – und Tecta liefert die Geschenke: Die Firma aus Niedersachsen fertigt europaweit die meisten Möbel-Ikonen der berühmten Werkkunstschule. Seniorchef Axel Bruchhäuser hat viele Gestalter noch persönlich kennengelernt. Kein Wunder, dass er voller Geschichten steckt. Christian Tröster hat einfach zugehört.

Das Bauhaus lebt. Aber nicht in Weimar oder Dessau, sondern in Lauenförde, einem 3000 Seelen-Örtchen im Süden Niedersachsens. Die Weser fließt von hier aus noch 350 Kilometer bis zur Nordsee und die nächstgelegenen Orte heißen Uslar, Trendelburg oder Brakel. Was hat das Bauhaus hierher verschlagen?
Wer das wissen will, nimmt die B 241 durch den Solling, das wahrscheinlich unbekannteste Mittelgebirge Deutschlands, und erreicht irgendwann in einer Seitenstraße von Lauenförde die Firma Tecta. Und damit einen der eigenartigsten, großartigsten und deutschesten Orte unseres Landes. Zwischen 50er Jahre Siedlungshäusern und einem Gewerbemischgebiet hat sich der Möbelproduzent angesiedelt und fertigt hier Bauhausmöbel in Serie – ein Mittelständler, der aus der Provinz die ganze Welt beliefert. Gerade wird ein Karton für Korea verpackt und regelmäßig gehen Möbel nach Japan. Das Bauhaus ist weltweit gefragt, am liebsten mit Echtheitssiegel. „Wir können in Europa die größte Zahl an Bauhaus-Signets vorweisen“, erklärt Senior-Chef Axel Bruchhäuser. Gemeint ist das runde Zeichen mit der Aufschrift „original bauhaus modell“. Entworfen wurde es einst von Oskar Schlemmer. Heute wird es vom Bauhaus Archiv für werkgetreu in Lizenz gefertigte Möbel vergeben. Insgesamt dreißig davon stellt Tecta her, darunter Walter Gropius’ Direktorensessel und Mies van der Rohes B 42, den sogenannten Weißenhof-Stuhl.

Doch mit diesen Fakten allein ist Tecta nicht beschrieben. „Schon als Kind war ich von diesem Ort fasziniert“, erinnert sich Christian Drescher. Er ist der Neffe von Axel Bruchhäuser und führt heute mit dem Onkel gemeinsam die Geschäfte. Der Ältere war schon immer mehr als Geschäftsmann ein Fan der eigenen Produkte, ein Forscher, ein Freund der Designer und Fanatiker der konstruktiven Gestaltung. Und weil er so begeistert ist von seiner Sache, hat er auch noch das Kragstuhlmuseum gegründet, ein Haus, das einer einzigen Idee gewidmet ist: dem Freischwinger, wie er zuerst am Bauhaus entwickelt und danach vielhundertfach variiert worden ist. „Ich habe Kommunikation studiert“, sagt Christian Drescher, „aber in Lauenförde traf ich anfangs auf eine eigenwillige Auffassung von Unternehmenskommunikation. ‚Wir machen da gar nichts’ sagte mein Onkel damals und zitierte sein Vorbild Mart Stam: „eine gute Sache propagiert sich selbst’“.

Axel Bruchhäuser zieht unterdessen in den lichtdurchfluteten Geschäftsräumen die Schubladen auf. „Alles Original-Dokumente! Hier haben wir die Korrespondenz mit Ati Gropius der Tochter des Bauhaus Gründers, mit Gerrit Rietveldt, Jean Prouvé und Sergius Rugenberg“. Letzterer war der Assistent von Mies van der Rohe und hat in dessen Auftrag sowohl den Weißenhof Stuhl als auch den berühmten Barcelona Chair entworfen. Die Original-Zeichnungen hängen bei Tecta im Flur. „Mies hat mit einer großen Handbewegung die Rundung vorgegeben“, weiß Axel Bruchhäuser, „den Rest hat Rugenberg erledigt“. Es sind solche Details, denen Bruchhäuser in unermüdlicher Arbeit nachgespürt hat. Er traf Marcel Breuer in New York und führte lange Interviews mit Heinz Rasch, einem Zeitzeugen der Bauhaus-Ära. Und sogar den verschollen geglaubten Mart Stam konnte er aufspüren. Der Niederländer, der als eigentlicher Erfinder des Freischwingers gilt, lebte zuletzt unter wechselnden Namen in der Schweiz. „Heller“ stand an der Tür, an der Bruchhäuser schließlich klingelte, hier gab ihm Mart Stam 1977 sein wohl letztes Interview. Das Thema, selbstverständlich für Axel Bruchhäuser, die Erfindung und Entwicklung des Freischwingers. Tectas Seniorchef kann darüber aus dem Stegreif Vorträge halten, er ist wandelndes Lexikon, Zeitzeuge und Beteiligter in einem: „Die Idee stammte von El Lissitzky. Mit seinem auskragenden Wolkenbügel entwarf er 1924 das Bild einer schwerelosen Architektur. Mart Stam, Mies van der Rohe und Marcel Breuer nahmen dies in ihren Entwürfen zu hinterbeinlosen, also halb schwebenden Stühlen auf“. Jean Prouvé schließlich, mit dem Tecta langjährig zusammenarbeitete, verbesserte 70 Jahre später die Statik, indem er das Stahlrohr an den belasteten Stellen abflachte. Die stabilisierenden aber schwere Einlagen in den Rohren konnten damit entfallen. „Tube aplati nannte Prouvé das“, weiß Axel Bruchhäuser, „das einfach runde Rohr nannte er gedankenlos und meinte damit Breuer“. Dann erklärt Axel Bruchhäuser das Geflecht des Weißenhof-Stuhles, das von Lilly Reich in den zwanziger Jahren entwickelt wurde. „Die Flechterei war in einem Nebenraum von Mies’ Studio untergebracht“, weiß er und begeistert sich für die Komplexität des doppellagig verarbeiteten Flechtwerks aus Rotang-Palme. Ohne Geflecht kein Weißenhof-Stuhl: „Die weibliche Komponente des Bauhauses wird total unterschätzt!“ Heute ist Hansgert Butterweck einer der letzten Fachleute dafür in Deutschland. Er hat seine Werkstatt im Nachbardorf Dalhausen, kaum zehn Kilometer von Lauenförde entfernt. „Wir unterstützen das Handwerk, um das exakte Geflecht von Lilly Reich nacharbeiten zu können,“ erzählt Christian Drescher. „Wir möchten nicht, dass diese wichtige Kunst eines Tages verloren geht.“

Es ist diese Besessenheit bis ins Detail, die die Firma Tecta bis heute prägt, ein Agieren mehr aus Leidenschaft und Interesse denn aus kurzsichtiger Wirtschaftlichkeit. Unternehmensberater in schmal geschnittenen Anzügen hätten jedenfalls nicht zur Eröffnung eines monothematischen Designmuseums im Solling geraten und sie hätten gewiss auch nicht dafür plädiert, dafür Alison und Peter Smithson zu engagieren. Die britischen Architekten, in Deutschland nahezu unbekannt, waren radikale und experimentelle Theoretiker, zwischenzeitlich Vertreter des Beton-Brutalismus und sie gelten Insidern noch heute als wichtige Exponenten der Moderne. Ihr Museum in Lauenförde wird gar als eines der bedeutendsten Werke der Nachkriegsmoderne in Deutschland beschrieben. Den strengen und rationalen Stil des Bauhaus sucht man an dem Gebäude allerdings vergeblich, mit seinem roten Stahlfachwerk erinnert es eher an die Zeit der britische Pop Art. Es dominiert ein Fachwerk aus rotem Stahlgestänge, viel Glas und an den Giebeln thronen keck überdimensional stilisierte Stühle – Kragstühle, um genau zu sein.

„Die Pflege der Tradition ist bei uns kein Selbstzweck“, erklärt Christian Drescher, „wir wollen das weiter entwickeln und mit den Designern zusammenarbeiten, die wie die Bauhausarchitekten forschend vorangingen“. ‚Freie Radikale’ wie die Smithsons passten da in den 80er Jahren perfekt ins Bild, oder auch Stefan Wewerka, der Künstler-Designer, der für Tecta den Stuhl ganz neu dachte – sieben verschiedene Sitzhaltungen sollen auf seinem Dreibeiner möglich sein. Heute werden bei Tecta Stühle wie der Split Chair entwickelt, der in überraschender Weise an die Tradition der klassischen Stahlrohmöbel anschließt. Designer Daniel Lorch arbeitet dafür mit einem mittig gespaltenen Rohr – eine Idee, die den Stahlbau an seine Grenzen und darüber hinaus führte. Sieben Jahre brauchte Lorch, um den Stuhl bis zur Marktreife zu entwickeln. Erst der Kontakt mit Tecta und neue Techniken wie 3D-Laserschneiden entlang eines gekrümmten Objektes ermöglichten eine wirtschaftlich Produktionsweise. „Tecta hatte zusammen mit Jean Prouvé schon das abgeflachte Rohr entwickelt“, sagt Daniel Lorch, „und später diese Biegung, bei der ein Flachrohr schräg in 45°-Winkel gebogen wird. Daraus entstand eine Poesie des Konstruktiven, die auch dem Split-Chair zugrunde liegt“. Daran, dass das Bauhaus in dieser Weise weiterlebt, arbeiten in Lauenförde Unternehmer, Designer und Handwerker Hand in Hand – und fühlen sich damit tief in die Tradition der Moderne eingebettet.

 

 

Schieben, Klappen, Schlafen

Mini-Wohnungen bieten phantasievolle Lösungen auf knappem Raum

WamS, 2.9.2018   Bezahlbare Stadtwohnungen werden immer kleiner. Bei der Einrichtung ist nicht nur Einfallsreichtum gefragt, sondern handwerkliches Geschick. Möbel werden weggeklappt, jede freie Ecke als Stauraum genutzt.

Nach „arm aber sexy“ kommt nun „klein aber sexy“ – es ist die Hoffnung vieler Menschen im Wohnungsmarkt. Kann eine verringerte Fläche kompensieren, was Miet- und Preissteigerungen in den letzten Jahren verteuert haben? Schon 40 Prozent aller Haushalte in deutschen Großstädten müssen mehr als ein Drittel ihres Haushaltseinkommens für die Bruttokaltmiete aufwenden – ein beträchtlicher Anteil und nach Expertenmeinung auch deutlich zu viel. Und der Trend zum teueren Wohnen in den Städten ist noch nicht zu Ende. Fast wöchentlich geistern neue Horrormeldungen durch die Medien, zuletzt über ein Haus in Berlin, in dem den Mietern nach einer Sanierung rund 50 Prozent mehr an Miete abverlangt wird.
Wer in so einer Situation nicht in die Vorstadt will, dem bleibt nur ein guter Anwalt – oder die Flucht ins Kleine.

Die gute Nachricht dabei: auch aus winzigen Wohnungen kann man erstaunlich viel machen. Zahlreiche Beispielen dazu hat der Gestalten-Verlag in einem neuen Bildband zusammengetragen. Die „Super-Buden“ reichen von einem vorgefertigten, sechs Quadratmeter großen Raum, der in ein größeres Zimmer hineingestellt wird bis zu komplexen Einbaumöbeln, die man falten, schieben, ausziehen und klappen kann. Häufig mit dabei: das gute alte Hochbett, das in deutschen Studenten WGs der Siebziger Urstände feierte. Doch die Zeiten ändern sich: Das Hochbett 2018 ist ein durchdachtes Möbel, in dem je nach Situation noch ein Badezimmer, eine Küche oder diverse Schränke untergebracht werden können. Vier Balken vom Baumarkt reichen schon lange nicht mehr.

Allfällige Tricks um mit beschränktem Platz fertig zu werden sind große Spiegel und transluzente Trennwände  – das bringt mehr Tageslicht in den Raum. Dazu kommen minimierte Verkehrsflächen: statt Treppen werden zum Beispiel Leitern eingesetzt und nur die wenigsten der kleinen Apartments haben Flur oder Diele. Der Preis dafür ist, dass man hinter der Haustür direkt in der Küche landen kann oder ein Sofa neben dem Herd plaziert werden muss. Eine gute Dunstabzugshaube, so viel ist sicher, gehört standardmäßig zu einem Miniapartment dazu. Stauraum findet sich unter Betten, Sitzmöbeln und Schreibtischen. Und auch über mancher Tür ist noch Platz. Am Ende gleichen die Kleinwohnungen begehbaren Kabinetten, in denen jeder Quadratzentrimeter durch Einbauten ausgenutzt wird.

An dieser Stelle wird auch deutlich, was die Wohnungen von ihren Vorgängern aus den zwanziger Jahren unterscheidet. Schaut man sich die Entwürfe der Bauhaus-Architekten an, die ja unter dem Banner der Rationalität und Platzersparnis angetreten waren, ist dort von Einbaumöbeln keine Spur zu sehen. Abgesehen von dem Sonderfall „Frankfurter Küche“ standen Betten und Schränke in den Interieurs jener Zeit geradezu arglos im Raum herum, mit viel Luft nach oben und zu den Seiten. Die Gründe dafür dürften zweierlei sein: Die Menschen besaßen einfach nicht so viele Konsumgüter, als dass sie dafür ausgefeilte Installationen hätten bauen müssen. Und: Komplexe Einbauten lohnen sich nur in Eigentumswohnungen. Wer mietet, muss beweglich bleiben, die nächste Mieterhöhung kommt bestimmt. Der neue Minimalismus unserer Zeit ist somit für die ärmeren unter den Wohlhabenden gemacht, aber ganz bestimmt nicht für Geringverdiener und Menschen, die zwei Jobs brauchen, um ihre Miete bezahlen zu können. Gemacht sind er auch für Metropolen mit extrem hohen Quadratmeterpreisen – nur hier hier entwickelt sich ein angemessenes Verhältnis von Immobilienkauf zu Entwurf und Einbau des aufwändigen Interieurs.

Zur Wahrheit unseres Wohnungsmarktes gehört aber auch, dass der Flächenverbrauch pro Kopf seit Jahrzehnten kontinuierlich wächst. Bewohnte ein Durchschnittsdeutscher um 1960 noch 16 Quadratmeter, sind es heute 46,5 Quadratmeter, Tendenz weiter steigend. Allein zwischen 2010 und 2016 nahm die tatsächlich genutzte Wohnfläche pro Person um 3,9 Prozent zu. Damit liegt Deutschland international weit vorn. In Russland stehen pro Kopf 22 Quadratmeter zur Verfügung, in Nigeria sechs Quadratmeter – letzteres entspricht den Zahlen für Mitteleuropa um 1900.

Die kulturelle Leistung, einen kleinen Raum kreativ zu organisieren, kann jedoch unabhängig von soziologischen und historischen Analysen gewürdigt werden. Eine komplette Wohnung für zwei Personen auf 13 Quadratmetern unterzubringen und dabei nicht das Gefühl von Klaustrophopie zu erzeugen, ist ein Bravourstück das nur versierten Innenarchitekten gelingt. So geschehen bei einem trapezförmigen Minihaus in London, das die Designer Nina Tolstrup und Jack Mama entwickelten. „Klassischer Wohnraum wird immer kostbarer und kostspieliger. Mit unserer Arbeit möchten wir moderne Lifestyle-Konzepte überdenken und Wohnraum neu gestalten“, erklärt Jack Mama: „Es wächst gerade eine ganze Generation heran, die nach Lösungen für alternatives Wohnen sucht“. Helle Hölzer und pastellige Farben bestimmen die Atmosphäre in seinem Einraumkonzept. Nur das Badezimmer ist abgeteilt. Fast jedes Möbel im Wohn, Ess und Küchenraum ist maßgescheidert und kann irgendwie weggeklappt oder ausgezogen werden.

Demgegenüber sind die 34 Quadratmeter, die den Architekten von Elii in Madrid zur Verfügung standen, geradezu üppig bemessen. Sie entwickelten ein Wohnkonzept auf zwei Ebenen. Der erhöhte Bereich schließt sich nahtlos auf Höhe des Küchentresens an und hat den Charme, dass man von dem dort plazierten Bett direkt zum Herd schauen kann – und umgekehrt. Die Schlafecke kann allerdings durch einen Vorhang abgetrennt werden. Der Platz darunter wird natürlich nicht verschenkt, sondern ist in Form von ausziehbaren Schränken organisiert. Eine besondere und aufgeräumte Atmosphäre erhält das Apartment durch hell-mintgrüne Verkleidungen, die sanft mit natürlichem Holz kontrastieren.

Überhaupt spielen die Oberflächen in den Miniapartments eine größere Rolle als anderswo – schließlich fehlen meist Wände, die tapeziert oder gestrichen werden müssen. Preiswerter Standard ist weißer Schleiflack, ein noch preiswerterer sind ungestrichene Pressholzplatten, die allerdings eine etwas ruppige Atmosphäre verbreiten. Neu ist ein Material namens Fenix NTM – NTM steht für Nano Tech Material. Die damit beschichteten Platten haben eine matte Oberfläche, auf denen fettige Fingerabdrücke nicht sichtbar sind. Die Platten, meist für Küchenarbeitsflächen verwendet, sind zudem stark beanspruchbar und kleine Kratzer kann man mit einem Bügeleisen ausbessern – so wie auch bei unbehandeltem Holz. Fenix wurde bei einem Pariser Apartment für eine Wohnbox eingesetzt, die Bett, Kleiderschrank und Badezimmer in einem ist. Mit seinem matten Schwarz verbreitet es darin eine ausgesprochen elegante Atmosphäre – so stilvoll, so phantasievoll kann Wohnen auf kleinem Raum aussehen.

 

Ein Fertighaus für kleine Flächen

Sonderheft über ein besonderes Haus: Das Green Living Space von Schwörer Haus und Ikea wird als Ganzes auf einem Laster angeliefert.

Sonderheft über ein besonderes Haus: Das Green Living Space von SchwörerHaus und Ikea wird als Ganzes auf einem Laster angeliefert.

Zuhause Wohnen Extra, April 2018  Redaktion und Text für das Sonderheft „Green Living Space“ – Eine Kooperation von Zuhause Wohnen, SchwörerHaus und Ikea.
Heftumfang: 36 Seiten

 

 

Bauen mit Licht

Der Louvre von Abu Dhabi zeigt sich nach außen flach gewölbt, wie ein Schildkrötenpanzer. Doch die Kuppel mit einem Durchmesser von 180 Metern ist lichtdurchlässig. Darunter inszenierte Architekt Jean Nouvel einen grandiosen Raum, der von Lichtstrahlen und erhabener Schönheit geprägt ist.

Der Louvre von Abu Dhabi zeigt sich nach außen flach gewölbt, wie ein Schildkrötenpanzer. Doch die Kuppel mit einem Durchmesser von 180 Metern ist lichtdurchlässig. Darunter inszenierte Architekt Jean Nouvel einen grandiosen Raum, der von Lichtstrahlen und erhabener Schönheit geprägt ist.

A&W 2/2018  Tageslicht ist das Medium, zu dem sich jedes Bauwerk verhalten muss. Nur wenige Architekten verstehen damit meisterlich unzugehen – sie erschaffen Räume von mystischer Schönheit. 

Es ist eine Kuppel, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Kaum 36 Meter hoch aber mit 180 m Durchmesser wölbt sie sich schützend über eine Ansammlung weißer Gebäude, die mit ihrer Geometrie nicht durch Zufall an eine Medina, die arabische Altstadt, erinnern. Still schwappen die Wasser des arabischen Golfs an die Stufen dieses Ensembles und durch die Kuppel hindurch dringen einzelne Sonnenstrahlen – ein „Regen aus Licht“. So jedenfalls beschreibt es der Schöpfer des Ensembles, der Architekt Jean Nouvel, während sein Blick hinauf an die Wölbung des Domes wandert. Was er von der Wüste gelernt hätte, wird er gefragt. „Die Poesie, die Schönheit der Weite und des unendlichen Horizonts“, sagt er, „die Wahrnehmung von Sand, Wind und Licht“.

Unübersehbar ist der Louvre von Abu Dhabi eine Architektur nicht nur aus Stahl und Beton, sondern auch aus Licht und Schatten. Und weil Jean Nouvel deren Präsenz dramatisiert und inszeniert, macht der Bau das Selbstverständliche sichtbar: Tageslicht ist das Medium, zu dem jedes Gebäude sich verhalten muss – ohne Licht geht nichts in der Architektur. Was zunächst klingt wie eine Plattitüde, ist eine Wahrheit, die gern übersehen wird. Form, Funktion und Grundrisse von Gebäuden werden ausgiebig diskutiert, Kosten und Energieersparnis akribisch bewertet. Aber wann wird über das natürliche Licht gesprochen, das alle Gebäude umgibt, durchdringt und gestaltet?

Vielleicht braucht es Ausnahmefiguren wie den amerikanischen Pritzkerpreisträger Steven Holl, um dem Tageslicht seinen Platz in der Architektur zuzuweisen. “Wenn Leute mich fragen mit welchem Material ich am liebsten arbeite“, sagt er, „dann antworte ich: mit Licht! Die Arbeit mit Licht hat mich schon immer fasziniert“. Und Jean Nouvel, ebenfalls mit dem Pritzkerpreis ausgezeichnet, stellt fest: „Wenn ich eine Obsession hätte, dann wäre das Licht“. Und er erklärt dann sein neues Hauptwerk, den Louvre von Abu Dhabi: „In dem Museum ist das Licht durch die Schichten des Domes gefiltert“. Durch dessen Gitter fallen einzelne Lichtstrahlen, die sich als Punkte über Böden und Wände ergießen. Das alles, sagt der Architekt, „schafft einen dynamischen Zyklus. Der Schatten bewegt sich konstant entsprechend der Tages- und Jahreszeiten“. Das Museum ist auf diese Weise in die Natur eingebunden und überhöht sie zugleich zu einer erhabenen, kulturellen Aussage.

Damit setzt Jean Nouvel ein Zeichen, das nicht an der Tagesordnung ist. „Leider“, sagt die Lichtplanerin Ulrike Brandi, die kürzlich im benachbarten Doha gearbeitet hat, „wird Licht in vielen Fällen nur technisch bewertet“. Die Hamburgerin, die zu den Pionieren ihres Fachs gehört und Lichtkonzepte für von der Elbphilharmonie bis zur Rotterdamer Centraal Station realisiert hat, ist in ihrer Arbeit häufig mit starren Vorschriften zur Beleuchtung konfrontiert – es geht darin um Arbeitsplatzsicherheit, Verkehrswege, Gesundheit und Energie. Das alles sei wichtig, sagt die Planerin, „aber der gestalterische Aspekt wird dabei häufig übersehen.

Welche Bandbreite das architektonische Lichtdesign haben kann, hat ihre Kollegin Marilyne Andersen aufgezeichnet. Die Professorin an der Polytechnischen Hochschule in Lausanne hat das Tageslicht zwischen zwei Polen skaliert. Das eine Ende der Skala besteht demnach in direkter Sonneneinstrahlung bei klarem, blauem Himmel – ein Licht das harte Konturen schafft und die Energien der Menschen aktiviere. Am anderen Ende steht das diffuse Licht eines bedeckten Himmels. Es führt zu einer gedämpften Atmosphäre und beruhigt die Seele. Aus dieser Analyse leiten Andersen und ihre Kollegin Siobhan Rockcastle zehn architektonische Grundtypen ab: Von solchen mit präzisen und starken Schattenkontrasten in ihrem Inneren bis zu jenen, die ganz mit weichem, indirektem Licht arbeiten.

Besonders Steven Holl ist dafür bekannt, dass er gedämpftes und gefiltertes Licht einsetzt – er erhielt für seine sensible Arbeit den Daylight-Award der Velux-Foundation. Das jüngste Beispiel seiner Lichtarbeit ist das Maggie’s Centre in London, ein Beratungszentrum für Krebspatienten und deren Angehörige. Das Gebäude ist mit einer Fassade aus weiß mattiertem Glas versehen. Sie schirmt das Haus gegen die eng bebaute, historische Altstadt von London ab und lässt dennoch genug Tageslicht ein. Nur beim und neben dem Eingang gewährt das Gebäude Einblicke, im dritten Stock öffnet es sich mit einem geschwungenen Panoramafenster zu einer rückwärtigen Dachterrasse. Im Inneren sorgt die opake Fassade für sanftes Licht ohne harte Schatten und wenn Abends die Leuchten eingeschaltet werden, glimmt das ganze Gebäude sanft in seine Umgebung hinein. Farbige Elemente in der Fassade sowie von Innen durchscheinende Betonstützen gliedern die ansonsten einheitliche Fassade und verleihen ihre einen zarte Dynamik.

Dass man mit Tageslicht auch ganz anders und nicht weniger poetisch umgehen kann, zeigen Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa vom Tokioter Büro SANAA mit ihrem River Building. Mit seiner durchgängigen Transparenz ist es der größtmögliche Gegensatz zu der Verschlossenheit des Maggie’s Centre. Wie ein Fluss schlängelt es sich durch das Gelände der Grace Farm in New Canaan, CT und weitet sich an manchen Kurven wie zu kleinen Seen aus. Das Haus dient als Gemeindezentrum in dem Naturerlebnis, Erholung und gemeinschaftliches Erleben möglich werden soll. Sein durchgehendes Dach scheint zu schweben, ein Effekt, der durch feine Stützen und eine voll verglaste Fassade entsteht. Die Wände im Inneren sind weitgehend entmaterialisert und bestehen wo weit möglich ebenfalls aus Glas. Doch was da so leicht aussieht, ist energetisch schwer zu managen –schließlich sollte die Sonne das Gebäude nicht wie ein Gewächshaus aufheizen. Berechnet wurde das Energiekonzept für das River Building von der deutschen Firma Transsolar. Die Stuttgarter Ingenieure stellten fest, wie weit das Dach an welchen Positionen überstehen müsse, um angemessene Verschattung und gutes Licht zu erreichen. Sie berechneten die Thermik an den gekrümmten Scheiben, überprüften mehrere mögliche Heizungsvarianten und empfahlen schließlich ein Kunstlichtsystem, das über Sensoren auf das Umgebungslicht reagiert.

Traditionell wichtig ist der Umgang mit natürlichem Licht für sakrale Gebäude. Eine originelle und sehr zeitgenössische Lösung fanden die Architekten Ignacio Vicens und José Antonio Ramos in einem Vorort von Madrid. Dort haben sie die Ostseite der Kirche Santa Monica zu einer Art skulpturalen Explosion ausgearbeitet. Die expressiven Formen aus Corten-Stahl funktionieren nicht nur als urbanes Großzeichen, sondern filtern das Licht nach innen in irritierender Weise. Dort scheint das Licht aus sieben verschiedenen Richtungen zu kommen, ein Eindruck, der den Eigenschaften natürlichen Lichts substantiell widerspricht. Die Herkunft des Lichtes wird hier zugleich verschleiert und mystisch überhöht. Referenzpunkt dafür sind liturgische Aspekte des Kirchenbaus, die schon immer vorgeschrieben haben, dass die Gebetsrichtung Osten ist – ausgerichtet zum Sonnenaufgang, dessen Licht in der Theologie das Christuslicht meint. Bei Vicens und Ramos wird das alles mit geometrisch zurückgenommener Formensprache umgesetzt und erreicht dennoch einen Eindruck theatralischer Mystik. Die Inspiration dafür, so sagen es die Architekten, bezogen sie von der römischen Kirche San Carlo alle Quattro Fontane, einem Meisterwerk des Barock, das mit irritierend vibrierenden Raumformationen arbeitet. Dass kunstvolle Lichtführung jedoch alles andere als eine Erfindung der westlichen Kultur ist, weiß kaum einer besser als Jean Nouvel. Schon mit seinem meisterlichen Frühwerk, dem Institute du Monde Arabe in Paris, hatte Nouvel sich 1987 von der arabisch-muslimischen Architektur inspirieren lassen. Mit dem Museum der Weltkunst im Emirat kehrt Nouvel an diese seine Wurzeln zurück. In der arabischen Kultur, erläutert er, sei es ganz alltäglich, gefiltertes und gebrochenes Licht zu erleben. „Ich wollte“, bekennt er, „keine typisch westliche Museumsatmosphäre mit weißen Wänden und weißen Sockeln“. Und schließt dann: „Es ist nicht nur ein funktionales Gebäude. Es hat eine symbolische und sogar eine spirituelle Bedeutung“, – und die verdankt es vor allem dem Licht.

 

 

Blick zurück nach vorn

eurotopiansIdeatIdeat 1/2018    In einem eigenwilligen Bildband untersucht der Architekturkritiker Niklas Maak die utopische Architektur der Sechziger Jahre – und findet unsere Zukunft. 

Der Autor Niklas Maak gehört zu den unterhaltsamsten Architekturkritikern in Deutschland – wie kaum ein zweiter versteht er es, auch kleine Dinge mit großen gesellschaftlichen Fragen zu verbinden. Dazu kommt ein Talent für steile Thesen, mit denen er ideologische Frontlinien aufbricht. Nun hat er er sich einem Thema zugewandt, dass besonders schillernd ist: der Zukunft von gestern. Sein Buch „Eurotopians“ beschäftigt sich mit Zukunftsbauten der sechziger und siebziger Jahre. Es war eine Epoche, so Maak, von „expansivem Optimismus“. Viele Architekten wollten soziale Konzepte mit avantgardistischen Technologien zusammenführen und damit die Welt retten. Die Protagonisten dieser Bewegung hießen Yona Friedman, Cini Boeri oder Antti Lovag, und sind heute weitgehend vergessen. Einige ihrer Gebäude aber stehen noch. Die Fotografin Johanna Diehl hat davon ernüchternde Bilder gemacht. Was einst selbstgewiss und bedeutungsschwanger daher kam, ist heute in der grauen Wirklichkeit gelandet.

Es ist das Verdienst Niklas Maaks, nicht auf dieser Ebene der Betrachtung stehenzubleiben. Vielmehr überprüft er die Entwürfe der Sechziger auf ihr Potenzial und ihr Fortleben hin. Und stellt fest: Viele der damaligen Ideen wurden von späteren Architektengenerationen weiterentwickelt. So leben die Ideen von Yona Friedman in den spektakulären Bauten des Büros MVRDV fort – etwa in den gestapelten Landschaften des niederländischen Expo 2000 Pavillons in Hannover. Auch die Japaner Sou Fujimotos oder Ryue Nishizawa – beides stilbildende Architekten unserer Zeit – haben bei den Utopisten gelernt.

Wer also Lösungen für das Zusammenleben der Menschen heute und dmorgen entwickeln will, der kann bei den Eurotopians fündig werden. Sein Buch, so sagt Niklas Maaak, sei „eine Archäologie der Zukunft“.

Was war denn da los, Herr Wanders?

wandersIdeatIdeat 2/2018  Beim Mondrian Hotel in Doha griff Marcel Wanders in die Vollen. Dem Niederländer gelang damit ein ästhetisches Spektakel, dass zwischen arabischen Bling Bling und Alice im Wunderland changiert. Der Spaßfaktor ist garantiert.

Wir wissen nicht, ob wir wirklich eine Reise nach Doha empfehlen sollen. Die Hauptsehenswürdigkeiten in der Hauptstadt von Katar sind eine Corniche mit bizarren Hochhäusern, ein öder Park rund um ein Stadion sowie ein Museum für Islamische Kunst, dessen Eintritt kostenlos ist. Aber wenn man schon mal dort ist, sollte man das Mondrian Hotel nicht versäumen. Das ist in einem dieser Hochhäuser untergebracht, bei deren Anblick man sich fragt, ob man selbst oder der Architekt eine Portion LSD zu viel eingenommen hat. Das Interior des Mondrian wurde von dem niederländischen Designer Marcel Wanders gestaltet und wenn man die Halle betritt, stellt sich die Frage nach dem LSD nicht mehr. Hier muss etwas geschehen sein, das unsere Begriffe von gutem Design über den Haufen wirft und wenn man einmal durchgeatmet hat, ahnt man auch, dass das nicht nur nicht schlecht, sondern sogar ziemlich gut ist. Marcel Wanders war der Anführer einer Designrevolution, die in den Neunzigern in den Niederlanden losbrach. Er und seine Mitstreiter hatten die Nase voll von all dieser Vernunft. Schluss mit „less is more“ oder „form follows function“, wer will den so was? Wanders erforschte mit kecker Vorurteilslosigkeit die Möglichkeit Gelsenkirchener Barock mit modernen technischen oder dekonstruktiven Verfahren zu kombinieren. Vieles davon steht heute in den besten Designmuseen der Welt und gilt bereits als Klassiker. Wanders wurde darüber zu einem der erfolgreichsten Designer der Gegenwart, er betreibt in Amsterdam ein Büro mit 60 Mitarbeitern und erhielt offenbar mit dem Mondrian die Möglichkeit, sich noch einmal selbst zu übertreffen. Er arbeitete dafür völlig enthemmt. Warum nicht Säulen wie Gelsenkirchener Tischbeine gestalten? Warum nicht eine vergoldete Glocke über einen riesigen Kronleuchter stülpen? Und wer sagt eigentlich, dass das Geländer einer Wendeltreppe nicht aussehen kann, wie Brüsseler Spitze? In Schwarz. Wenn man sich als Designer so etwas getraut hat, ist der Schritt auch nicht mehr weit, im Foyer riesige Pilze wachsen zu lassen – sie sehen aus, als wären sie aus dem Land der Schlümpfe geborgt. Was sagt man dazu? Arabisches Bling Bling trifft europäische Trash-Kultur und erschafft eine ebenso entgrenzte wie komische Design-Fusion, für die es noch keinen Namen gibt. Doha, so scheint es, hat endlich eine Touristenattraktion, für die die Reise lohnt – ästhetische Trittsicherheit und Schwindelfreiheit vorausgesetzt.