FAZ 14.9.2017 Manche Designtrends geben einem zu denken: Neuerdings werden die Falten in Polsterstoffen von den Herstellern gleich mit eingearbeitet. Der zerwühlte Look signalisiert höchste Privatheit.
Es gibt Designtrends, über die kann man ins Philosophieren geraten. Das neuste aus dieser Kategorie sind Polstermöbel die aussehen, wie ungemachte Betten. Sollten die Polster bis dahin drall, schier und straff sein, werden jetzt vermehrt Möbel angeboten, deren Sitzflächen zerwühlt sind wie ein Bett, nach einer Liebesnacht.
Das ist eine Wende im Design, wie sie drastischer kaum ausfallen könnte, galten doch durchgesessene Polster bis vor kurzem noch als Klagegrund. Die Stiftung Warentest ermittelte 2016 die häufigsten Reklamationen nach einem Möbelkauf. Falten im Polsterbezug belegten dabei Platz eins. Auf Platz zwei standen Sitzmulden, die nach Auffassung der Käufer zu schnell nach dem Kauf entstanden waren. Ein Phänomen, über das sich zu räsonieren lohnte. Doch machen wir es kurz wie die Stiftung Warentest: Sowohl Falten als auch Kuhlen gelten als warentypisch, Reklamationen dürften kaum Erfolg haben.
Doch damit, dass die Falten schon von vornherein eingearbeitet werden, haben wohl weder die Produkttester noch die deutschen Gerichte gerechnet. Dabei reihen sich die so gestalteten Polstermöbel in eine lange ästhetische Tradition, beginnend beim höfischen „deranger du matin“ im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Damals erlaubten sich die Hofdamen kalkulierte „Nachlässigkeiten“, etwa das minimale Hervorschauen eines Untergewandes, um ein Bild von Privatheit gegenüber der offiziellen Kostümierung zu kreieren. In jüngerer Zeit hat sich das Motiv in den Frisurenbereich verlagert. Der „Out of bed“-Look gilt als hoch aktuell und ist natürlich nicht dadurch herzustellen, dass man einfach aus dem Bett steigt. „Wer sein Haar nicht korrekt unperfekt frisiert, sieht schnell ungepflegt aus“, warnt denn auch die Frauenzeitschrift Elle, und zeigt fünf ziemlich komplizierte Schritte zu einer Frisur, die nach Null-Schritte aussiehen soll. In ähnlicher Weise sind auch zerrissene Jeans codiert. Für die Löcher und Schnitte, die eifrige Mütter gleich reparieren wollen, haben Sohn oder Tochter im Zweifelsfall extra viel Geld ausgegeben: Hilfe, Mama will meine zerstörte Hose zerstören, indem sie sie „heil“ macht.
Aber zurück zu den Polstermöbeln. Das vielleicht radikalste Modell des neuen „out of bed“-Stils ist „Sfatto“ von dem italienischen Hersteller Edra – es gibt davon Sofa und Sessel. Das Modell kam 2011 auf dem Markt und kann als eine Art Trendsetter angesehen werden. Schon der Name signalisiert mehr als Lässigkeit, sfatto heißt „fertig“ im Sinne von heruntergekommen und wird im Italienischen auch für „ungemachtes Bett“ benutzt. So sieht Sfatto dann auch aus und weckt damit ambivalente Gefühle: einerseits eine Einladung, sich gehen zu lassen. Andererseits ein leichtes Erschrecken darüber, vielleicht ungewollt an der Privatheit anderer teilzuhaben. Wer legt sich schon gern in ein ungemachtes Bett, das nicht sein eigenes ist? Doch Designer Francesco Binfaré hat sein Möbel tiefer als bis zu den Falten durchdacht. Der Bezug ist mit komplexer Technik hinterlegt. In dem Sitzmöbel steckt eine Mechanik, mit der man die Arm- und Rückenlehnen in verschiedene Positionen knicken kann. Der Körper schmiegt sich also nicht nur ins Sofa, das Sofa kuschelt zurück. Der Faltenwurf des daunendeckendicken Bezugs ermöglicht die Bewegungsfreiheit des Möbels.
Auch der Hamburger Designer Sebastian Labs hat sich mit dem Thema beschäftigt. „Perfekt glatt gepolsterte Möbel sehen wir nicht als lebensnah an. Falten sind eine Form neuer Lässigkeit. Sie passen zu den eklektizistischen Einrichtungen, in denen wir heute leben“. In diesem Sinne gestaltete er den Sessel „584“ für Rolf Benz als „fettes Teil“ und „Loveseat de Luxe“ – so die Aussagen des Herstellers. Es folgte der Stuhl „641“, dessen Sitzfläche und Lehnen ebenfalls gefältelt sind. „Das ist eine aufwändige Entwicklung und technisch komplex“, erläutert Sebastian Labs, „eine ausgeklügelte Mischung aus ‚zu viel’ Textilien und einem Unterbau, der den Faltenwurf erlaubt. Die Polsterer arbeiten mit Abnähern und Absteppungen“. Das ambitionierte Ziel: Die Falten sollen im Laufe der Jahre nicht mehr werden – auf dass nicht noch jemand auf die Idee käme, den Faltenstuhl wegen falscher Falten zu beanstanden.