Dreißig Meter Fensterfront zum Rhein und den Güterbahnhof im Rücken. Der Schweizer Fotograf und Kurator Onorio Mansutti lebt als einziger Bewohner im Basler Hafen
Vom Playboy zum Wohltäter, vom Arbeiterkind zum Großgastronomen, vom Star-Fotografen zum Künstler – wollte man die Karriere des Onorio Mansutti in Schlagworten umreißen, fallen einem vor allem Gegensatzpaare ein.
Onorio Mansutti, der nächstes Jahr 70 wird, hat ein abenteuerliches Leben gelebt, getrieben von Neugierde und Unternehmergeist, von der Liebe zur Kunst und dem Willen zu helfen. Mit 66 Jahren ist er, der seit 35 Jahren nur weiße Kleidung trägt, in den Baseler Rheinhafen gezogen, mitten ins Industriegebiet. Hier betreibt er eine Kulturstiftung und organisiert Ausstellungen. Darüber, auf dem Dach des Stiftungsgebäudes, bewohnt er ein Loft, das – passend zum Lebensentwurf – von starken Gegensätzen geprägt ist: vorne beste Rhein-Lage, hinten ein Güterbahnhof, auf dem Altglas, Metalle und gebrauchte Hölzern verladen werden, von morgens sechs bis abends um fünf. Der Lärm der tonnenweise verschütteten Rohstoffe weht hinüber bis nach Frankreich und echot in der Flussebene mit ortlosem Schall. „Das ist die perfekte Wohnung für mich“, sagt Mansutti. Der Lärm stört ihn nicht. Dafür bleibt der Blick auch nach Feierabend erhalten, in erhabener Stille. 30 Meter lang ist das Fensterband, das Architekt Daniel Faust angelegt hat: mehr Flussblick geht nicht und dazu gibt es sogar noch einen kleinen Balkon.
„Das teuerste an der Wohnung“, erläutert der Architekt, der inzwischen Geschäftsführer der Stiftung ist, „war das Eichenparkett“. Der Boden stiftet Zusammenhalt für eine Wohnung, die so offen angelegt ist, dass sie sich nur für einen alleinstehenden Bewohner eignet. Die Wände zwischen Büro, Wohnraum, Küche und Schlafzimmer sind nur 2,50 Meter hoch. Darüber erstreckt sich der offene Raum. Nur Bad und WC können mit Schiebetüren abgekoppelt werden, falls mal Besuch da ist, der dann im Gästezimmer ein Stockwerk tiefer schläft.
Dass Onorio Mansutti genau hier wohnt, auf dem Dach eines ehemaligen Werkstattgebäudes, ist eine Mischung aus absurden Zufällen und innerer Notwendigkeit. Er selbst hatte 1974, als er am Strand von Rio fotografierte, eine Stiftung für arme Kinder in Brasilien gegründet. Über diese Arbeit wie auch seine Liebe zur Kunst lernte er den Mäzen Walter Wüthrich kennen, einen Unternehmer, der 1939 von Basel aus nach Südamerika ausgewandert war und der Mansutti nach seinem Tod eine weitere Stiftung überließ. Die widmet sich dem Werk des Künstlers Franz Josef Widmar, von dem Wüthrich 527 Ölgemälde erworben hatte – eine Laune, die beweist, dass Liebe, auch die zur Kunst, tatsächlich blind machen kann. Doch abgesehen von der mindestens wechselhaften Qualität der Bilder hatte Onorio Mansutti ohnehin keine Lust nur einen Nachlass abzustauben. Er rang dem Stifter deshalb noch den Auftrag ab, zugleich auch die zeitgenössische Kunst Brasiliens zu fördern. Zu diesem Zweck kaufte die Stiftung – ihr Name Brasilea ist ein Wortspiel aus dem italienischen Begriff für Basel Basilea und Brasilien – das Gebäude am Hafen, rüstete es zum Ausstellungshaus um und bescherte der Stadt einen Ort, von dem sie vorher gar nicht wußte, dass sie ihn brauchte. Tatsächlich aber sind die kulturellen Verbindungen zwischen den beiden Ländern und Kontinenten erstaunlich dicht. Jeweils zur Baseler Art findet auf dem Gelände eine viel besuchte Satellitenmesse mit 35 Galerien statt. Von seinem Loft aus, hier schließt sich der Kreis, blickt Mansutti genau auf jenen Kai, von dem Walter Wüthrich einst nach Südamerika aufgebrochen war.
Auch in seiner Wohnung ist Mansutti von Kunst umgeben. Er besitzt Werke von Piero Manzoni und Jean Tinguely, von Max Bill, Ben Vautier, Dieter Roth und Lucio Fontana. Viele davon sind mit persönlicher Widmung versehen, als Geschenk oder Bezahlung für Fotos. „Ich habe viel für Künstler gearbeitet“, erinnert sich Mansutti, „weil wir damals alle nicht so viel Geld hatten, habe ich mir Kunstwerke geben lassen“. Auf diese Weise ist fast jedes Bild in der Wohnung mit einer persönlichen Geschichte verbunden und dasselbe gilt auch für das riesige grüne Sofa von Saporiti. Mansutti hatte es 1968 von einem Möbelhändler als Bezahlung erhalten und es wegen der Farbe zunächst schrecklich gefunden. Nun steht es seit 40 Jahren in Mansuttis Wohnungen. Nirgends aber hat es so viel Sinn gemacht wie hier, wo es den Logenplatz zum Rhein einnimmt. Darüber schwebt eine Kopie des Michelangelo-Freskos aus der Sixtinischen Kapelle.
Fast ebenso lange wie er das Sofa besitzt, trägt Mansutti nur weiße Kleidung. Das sei auf den vielen Reisen entstanden, als er nicht lange überlegen wollte was anzuziehen sei, erläutert er. Tatsächlich ist sein Schrankkabinett ausschließlich mit weißen Hosen, Hemden und T-Shirts bestückt, was schon wieder aussieht wie eine Kunstinstallation. Nur ganz hinten – ertappt! – hängen ein paar braune Sakkos. „Die ziehe ich an, wenn ich zur Bank gehe“, grinst er, „Sonst sehe ich aus wie ein Zuhälter“.
Auch eigene Kunst hat Mansutti produziert – von Jugend an erschien sie ihm als eine utopische und faszinierende Fluchtmöglichkeit aus beengten Verhältnissen. Nach einer Lehre als Typograf beim Birkhäuser-Verlag beschloss der Arbeitersohn selbst Künstler zu werden. Zumindest Fotograf, wo man auch noch die schönsten Frauen kennenlernen konnte. Er fotografierte die damaligen Supermodels Twiggy und Veruschka und wurde wohlhabend durch die Produktion von Versandhaus-Katalogen. Ein Ausflug in die Gastronomie – zwischenzeitlich war er Wirt von drei großen Lokalen in Basel – kostete ihn vieles von dem, was er zuvor schnell verdient hatte.
Was aber Krisen wie Erfolge überdauerte, war seine Liebe zur Kunst. Schon in den Sechzigern bastelte er Schock-Miniaturen für die bessere Gesellschaft, Schmuckschatullen, gefüllt mit Schimmelpilzkulturen und Maden. Heute stellt er eher konzeptuelle Foto- und Schriftkunstwerke her. Oder eine Müll-Installation, die direkt neben seinem Büro steht. Dort, in einem schulterhohen Plexiglas-Quader, sammelt Mansutti seinen Papier- und Plastikmüll, Verpackungen, Flugtickets, Flyer. „Das ist meine Biografie“, erläutert er, „wenn der Behälter voll ist, bin ich weg“. Nach einer Pause fügt er grinsend hinzu: „Aber ich drück’s immer wieder runter“.
KASTEN
Das Gebäude der Stiftung Brasilea war 1964 als Werkstatt für Rheinschiffe errichtet worden. Es wurde von Fischer Art Architekten aus Basel zu einem Ausstellungsgebäude umgebaut. Dessen signifikantestes Merkmal ist die flaschengrüne Fassade aus gewelltem Fiberglas. Der Werkstoff, der früher vor allem an Gartenlauben oder Balkons zu finden war, wurde mittlerweile zu einem Hightech-Material weiterentwickelt. Das Plastik ist mit Glasfasern verstärkt und somit stabil, Witterungs- und UV-beständig. Die Farbe der Fassade leitete Projektarchitekt Daniel Faust von den Flaschen der nahegelegenen Recyclingsammelstelle ab.
www.brasilea.ch
Brasilea ist eine Kulturstiftung zur Förderung brasilianischer Kunst in der Schweiz. Sie veranstaltet regelmäßig Ausstellungen und organisiert in Partnerschaft mit der Art Basel eine Satellitenmesse mit Südamerikanischer Kunst.
www.kib.ch
Onorio Mansuttis 1974 gegründete Stiftung Kinder in Brasilien hat mittlerweile über 20.000 Kindern den Schulbesuch ermöglicht.