Neues entsteht aus altem, deshalb Zahlt man Bautypen der Vergangenheit Respekt.Wie die Hamburger Familie Lagemann, die sich von dem Architekturbüro La’ket Ein modernes Haus bauen ließ, dass viel traditioneller ist, als es auf den ersten Blick scheint.
TEXT: CHRISITAN TRÖSTER
Manchmal gibt man sich extra viel mühe. Hält sich zurück, sucht Gemeinsamkeiten, damit man nicht völlig aus dem Rahmen fällt – und gilt trotzdem als Störenfried. So geschehen in Hamburg, wo die Familie Lagemann lebt und sehr klare Vorstellungen von ihrem neuen Haus hatte: „Wir wollten nichts Abgehobenes, nichts Eitles“, erklärt Conrad Lagemann. „Es sollte sich einpassen in die Reihe der Nachbarn“. Doch als es fertig war, schimpften die Passanten. Einmal, nachts, warf sogar jemand Eier an die Fenster.
Die klassische Moderne, so scheint es, ist noch nicht angekommen im Stadtteil Volksdorf – jedenfalls nicht bei einer Gruppe von Skeptikern und Traditionalisten. Deshalb polarisierte, was harmonisch gemeint war. Was wiederum bedeutet, dass auch viel Zustimmung kam: Das Hamburger Architektenteam „LA’KET“ gewann neue Kunden, und die Bewohner sind ohnehin mehr als zufrieden. „Das Haus bietet ständig neue atmosphärische Momente und ist visuell in Bewegung“, sagt Eugenia Lagemann, „wir freuen uns immer wieder auf zu Hause“.
Tatsächlich verbirgt sich hinter der flächigen Fassade kein Standard-Grundriss. Das Haus ist in Splitlevels aufgeteilt, beginnend mit dem halb versenkten Eingang. Den legten die Architekten an, weil das Grundstück keinen Platz für einen Carport ließ, es ist nur 12,60 Meter breit. Also fährt man mit dem Auto unter den Überhang des Wohnzimmers. Durch einen verglasten Eingangsbereich gelangt man mit wenigen Schritten ins Erdgeschoß, wo sich Küche und Esszimmer befinden, die einen Zugang zum Garten haben.
Sieht man genau hin, erkennt man, dass das Haus gar nicht so fremdartig an der Straße steht, wie manche meinen. Es nimmt Volumen und Linien der Häuser der Umgebung auf. So endet der verglaste Eingangsbereich auf gleicher Höhe wie die Kellergeschosse der anderen Gebäude und die Oberkante des Kubus schließt mit deren Traufe ab. Zudem verwendete man traditionelles Material, nur wirken die Wände der Lagemanns viel delikater. Die Klinker, die überall im Viertel konventionell verbaut sind, wurden hier mit Detailversessenheit verarbeitet – es ist jener Unterschied, der Maßgeschneidertes von Stangenware unterscheidet. „Wir haben“, sagt Architekt Tim Kettler, „einen besonders schmalen Klinker mit unregelmäßiger Oberfläche gewählt“. Die 40 mal 4 Zentimeter großen Steine wurden im Diagonalverband verlegt.
Das Haus nimmt mit seiner Grundform respektvoll Bezug auf den Typus der so genannten Hamburger Kaffeemühle, ein fast würfelförmiger Zweistöcker mit Zeltdach, der in den 20er- und 30er-Jahren sehr beliebt war. Ihren Namen verdanken die Häuser ihrer Form, die an die Kaffeemühlen von damals erinnern. Das Architektenteam will diesen Bautypus unter dem Label Volksvilla in die Gegenwart überführen.
Was macht aber im inneren die qualität aus, die den Bewohnern so viel Freude bereitet? Zum einen sind da die bereits erwähnten Splitlevel, die die Räume über nur wenige Stufen miteinander verbinden. „Mit einem normalen zweistöckigen Haus“, erläutert Tim Kettler, „hätte man innen relativ wenig Erlebnis“. Der kleine Sohn der Familie hat die verschiedenen Wohnlevel sofort als Spiellandschaft erkannt. Zum anderen gelang das abwechslungsreiche Bild durch die verschiedenen Materalien, mit denen die Zimmer ausgestattet sind, mal mit Linoleum-, mal mit Holzböden. Und durch die unterschiedlichen Zimmerhöhen, das Bad etwa ist fast vier Meter hoch!
Durch die Fenster blickt man in das Dach der alten Eiche im Garten, deren Äste ein beinahe sakrales Gewölbe formen. Ihr dichtes Blätterdach hat übrigens das Energiesystem des Hauses beeinflusst: Da Solarzellen nicht angezeigt waren, entschied man sich für eine geothermische Tiefenbohrung mit Wärmepumpe.
Im Wohnzimmer wird die Raumhöhe durch eine Art Kuhle verstärkt. Die Sitzebene mit Einbausofas ist unter Fußbodenniveau abgesenkt, was besondere Geborgenheit vermittelt. Die Dachterrasse wurde ähnlich abgesenkt und somit den Nachbarblicken entzogen. Das Haus, erläutert Conrad Lagemann seine Wünsche, „sollte das haben, was auch ein Altbau in der Stadt bietet, jedoch in die klassische Moderne übersetzt“. Experiment gelungen.