Neue Deutsche Welle

By | 20. Januar 2014

Bildschirmfoto 2014-01-20 um 16.45.50Architektur & Wohnen 1/2014

Das Spektrum dieser Generation ist riesig: Junge deutsche Architekten konziperen
intelligente Lowtech-Bauten, schaffen auf auf schwierigen Grundstücken originelle Häuser oder propagieren mit Membranen nachhaltige Leichtbauweise. Allen gemeinsam ist, dass sie sich problemorientiert und unideologisch geben und nicht – wie die Stararchitekten der Neunzigerjahre – auf eine wiedererkennbare Formensprache setzen.  Sechs Büros und ein Plädoyer für die neue Generation.

 

Eine Markenzeichen hätten sie nicht, sagt Martin Ostermann. Doch betrachtet man das Werk von magma architects aus Berlin, dann wird ein Muster schnell erkennbar. Martin Ostermann und seine Partnerin Lena Kleinheinz arbeiten gern mit weichen Materialien, Membranen oder dehnbaren Textilien die sich zu Räumen spannen lassen. Was für Erlebnisse man damit produzieren kann, haben sie 2007 in der Berlinischen Galerie vorgeführt. Statt Ausstellungsobjekte auf Sockeln oder an Wänden zu zeigen, installierten sie einen Raum aus orangefarbener Kunstfaser. Durch große Öffnungen konnten die Besucher ihre Köpfe dort hineinstecken und die Objekte in einem Raumkontinuum schweben sehen: Die Ausstellungsarchitektur war die Ausstellung selber – und was für eine: das Thema war die Architektur von Magma.

Den bisherigen Volltreffer ihrer Karriere landeten Kleinheinz und Ostermann, die auch privat ein Paar sind, mit dem Olympischen Schießstand in London. Das Gebäude-Ensemble mit seinen poppig roten Punkten war von ähnlich ikonischer Kraft wie das Stadion von Peking vier Jahre zuvor, wurde jedoch kaum publiziert – dank stalinistisch anmutender Restriktionen des Olympischen Kommitees. Was für Magma der nächste Schritt zum Ruhm hätte werden können, erreichte nur eine Fachöffentlichkeit und verpuffte im publizistischen Nirvana.

Auch die Baugeschichte war ein einziger Hindernisparcours. Als immer neue Hürde erwies sich die Annahme der Auftraggeber, dass das, was nachhaltig ist, nicht gut aussehen könne. „Ästhetik oder Raumqualität“, erinnert sich Lena Kleinheinz, „waren für sie keine Kriterien. Jede unserer Entscheidungen mussten wir technisch rechtfertigen“. Was auch gelang, denn die Architekten konnten den vermuteten Widerspruch auflösen. Die Hallen bekamen eine weiße Haut mit knallroten Ausstülpungen – gebaute Pop-Art und starkes Zeichen für einen Sport, der kaum sichtbar ist. Die fröhlichen Punkte, das konnten die Architekten belegen, waren nicht nur Schmuck, sondern sorgten mit hinterlegten Aluminiumringen auch für Spannung der Folie. Auf diese Weise konnte gegenüber einer herkömmlichen Box mehr als die Hälfte an Stahl eingespart werden. „Der Wille,  aus Gründen der Nachhaltigkeit Material zu sparen, war bei den Bauherren so massiv“, erinnert sich Martin Ostermann, „dass sie noch nicht einmal eine Innenverkleidung zulassen wollten“. Wäre es nach ihnen gegangen, hätten die Besucher vor blanker Klimatechnik und einem Gewirr von Kabelsträngen gesessen. Eine zweite, innere Folienschicht – die für angenehme Raumathmosphäre sorgte –  konnten Kleinheinz und Ostermann nur deshalb durchsetzen, weil zwischen den Schichten ein Kamineffekt für natürliche Belüftung entstehen würde – so trickreich müssen Architekten zuweilen für Qualität argumentieren. Inzwischen sind die Hallen demontiert und Kleinheinz und Ostermann gelten als eines der interessantesten deutschen Nachwuchsbüros. Sie arbeiten in Berlin und fragen sich jeden Tag, warum sie ausgerechnet in einer Stadt leben, die architektonisch so wenig aufregend ist. „Für Kunst, Musik und Mode gibt es hier fruchtbaren Boden, aber mit unserer Architektur können wir nirgends anknüpfen“, sagt Lena Kleinheinz. Ihr Blick richtet sich deshalb ins Ausland. Nach China oder in die Emirate, wo sie einen Innenraum für ein Theater gebaut haben. Wieder mit Textilien, wieder in beschwingten Formen, aber doch ganz anders als die Olympiabauten. Im Emirat Sharja geht es mit den Wandverkleidungen um Assoziationen zu Wüstendünen und die Funktion, Blicke und Licht in einem Theaterraum zu lenken. „Wir haben eben doch keine Signatur“, sagt Martin Ostermann, „es geht uns um räumliche Qualitäten und sinnhafte Materialien“.

Dass AFF Architekten aus Berlin weder wiederkehrende Motive noch eine erkennbare Handschrift haben, ist offensichtlich. Sie haben eine geheimnisvolle Schutzhütte aus Beton errichtet und ein Schloss zum Museum umgebaut, daneben Schulen geplant und in einen Kirchenfußboden Reliefs hineingefräst. „Wir sind“, sagen Sven und Martin Fröhlich selbstbewusst, „einfach nicht einzuordnen“. Wenn es denn eine Gemeinsamkeit zwischen all ihren Projekten gibt, so empfinden es die Architekten, dann die, dass die Budgets knapp bemessen waren: „Wir haben meist öffentliche Auftraggeber. Die fragen nie danach was schöner, sondern immer nur, was im Budget ist“, sagt Martin Fröhlich. Doch gerade unter diesen Verhältnissen Poetisches zu produzieren und Architektur „die die Nutzer toll finden“, ist der Anspruch von AFF. Und auch dies: „Langeweile im Objekt ist für uns unerträglich“.

Für beides setzen die Brüder schon in ihren Arbeitsräumen ein starkes Zeichen. Das Büro ist Gesamtkunstwerk und architektonisches Statement in einem. Sie residieren in einer ehemaligen Ost-Berliner Stadtteilbibliothek, ausgestattet im Stil des stalinistischen Klassizismus. „Ja“, grinst Sven Fröhlich, „wir sind manchmal ein bisschen retro drauf. Als wir hier einzogen dachten wir, der Raum wirkt so mächtig, dass wir werden wie Hans Kollhoff“– jener Berliner Architekt, der wie kein anderer für einen Neoklassizismus mit konservativen Zügen steht. Doch von Kollhoffs strenger Ideologie sind die Fröhlich-Brüder weit entfernt: Die Regale in ihrem Büro quellen über von Phantasie und von Objekten, deren Sinn nicht immer gleich zu entschlüsseln ist. „Es ist“, erläutert Martin Fröhlich, „eine Mischung aus Industrie-Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts und einer Prise Ostalgie“. Da stehen Spindeln neben Isolatoren, Fettpressen, Leuchten und Bügeleisen neben Gummipuffern und Stanzeisen. „Wir mögen Haptik und Mechanik“, erläutert Martin Fröhlich „wir sind die, die noch am Fahrrad alle Teile selbst montiert haben“. Die Sammlung steht für Funktionalität und die eigene Herkunft aus Deutschlands Osten. Als reduzierte Haltung schlagen sich diese Interessen in den Bauten von AFF nieder: „Wir mögen minimale Ansätze in der Ästhetik, die Idee, dass man aus wenigem viel macht“.

Die krude Schutzhütte im Erzgebirge, die auf den ersten Blick wie ein Bunker wirkt, wurde als Abguss einer älteren Holzhütte am selben Ort entwickelt. Als Relief lebt der verschwundene Bau in den Betonwänden fort, was auch den Vorteil hatte, dass für den Neubau keine Baugenehmigung erforderlich war. Der wuchtige Betonbau entpuppt sich auf diese Weise als poetisches Statement, und vielleicht verbindet ihn dies mit der Anna Seghers Schule in Berlin, die ganz anders aussieht. Auf deren eigentlich schlichter Putzfassade sind in pastellenen Brauntönen Punkte aufgebracht. Das Muster übernahmen die Architekten von einem schwedischen Militärtarnnetz. „Manche“, berichtet Sven Fröhlich, „finden das zu reißerisch und sagen, es ziele zu sehr auf das äußere Bild ab. Für uns ist es aber ein Versuch, die Architektur mit der Umgebung in einen Dialog zu bringen“.

Mehr Ausdruck als die zarten Punkte, sind AFF Architekten überzeugt, ist heute auch kaum mehr möglich. Zum Ende des Besuches schaut Martin Fröhlich erstaunt auf die figurativen Holzintarsien an seinen Bürowänden, fast als sähe er sie zum ersten Mal. Und konstatiert nüchtern: „Das würde man heute auch nicht mehr durchkriegen“.

„Wir heißen Labor, nicht Studio oder Architekturbüro“, sagt Tobias Wallisser, ein asketisch wirkender Mann um die Vierzig. Zusammen mit Alexander Rieck und Chris Bosse hat er 2007 das Laboratory for Visionary Architecture – abgekürzt  LAVA – gegründet. Was für ein Name, was für ein Anspruch, wo doch in Deutschland Visionen nicht immer gerne gesehen sind. „Uns traut man hier nichts Großes zu“ stellt auch Alexander Rieck nüchtern fest, und das, obwohl die Partner schon bei der Gründung hochklassige Referenzen vorweisen konnten. Tobias Wallisser war als Partner bei UN Studio in Amsterdam für das Mercedes Benz Museum in Stuttgart zuständig. Alexander Rieck hatte am Fraunhofer Institut über Raumorganisation und Atmosphäre im Büro der Zukunft  geforscht. Und Chris Bosse hatte von Sydney aus an der Olympiaschwimmhalle in Peking mit gebaut – einem spektakulären Bau mit folienbespannter Fassade. Doch weil der Einstieg selbst mit so einer Expertise in Deutschland mühsam ist, orientierte sich LAVA lieber Richtung Mittlerer Osten. „Am Anfang hatten wir überlegt unser Hauptbüro in Abu Dhabi zu installieren“, erinnert sich Tobias Wallisser. Das war 2007 und man hatte den Auftrag für eine Skihalle in der Wüste gewonnen, Baubudget eine Milliarde Dollar. LAVA konnte von einer ersten Honorarzahlung ein paar Computer kaufen und Mitarbeiter anheuern, bevor das Großvorhaben in der Finanzkrise zusammenschmolz wie ein Schneemann in der Wüste. So ähnlich erging es LAVA auch mit ihrem zweiten Prestigeprojekt, dem Stadtzentrum von Masdar – der viel gefeierten CO2-neutralen Stadt, die vor den Toren von Abu Dhabi errichtet wird. Hier planten Bosse, Rieck und Wallisser einen Platz mit riesigen Sonnenschirmen. Auch dieses Vorhaben wurde inzwischen bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschrumpft, doch LAVA überlebte und plant nun ein Forschungsinstitut für 10.000 Mitarbeiter in Saudi Arabien. Das Bewerbungsverfahren dazu gewannen sie gegen internationale Großbüros wie Foster und SOM. „Die hatten schon fertige Konzepte“, erinnert sich Alexander Rieck, „wir haben gefragt: was ist eigentlich euer Bedarf? Im Dialog mit dem Kunden können wir unsere Qualitäten am besten einbringen“. Es begann ein jahrelanger Analyse- und Planungsprozess, bei dem erst am Ende Gestalt- und Raumfragen standen. Heute errichtet LAVA auf dem Saudi-Campus ein Hochhaus, das klimatisch auf den Ort und kommunikativ auf die Bedürfnisse der Forscher ausgerichtet ist. Geplant wird das Gebäude mit Hilfe allerneuester Technik, dem parametrischem CAD. Die Software stammt aus der Autoindustrie und ermöglicht das zügige Umplanen von Bauteilen, die voneinander abhängig sind. In herkömmlichen CAD Programmen muss bei Änderung eines Details oft der gesamte Bau neu gezeichnet werden. „Für viel Geld kann man jede Form bauen“, sagt dazu Tobias Wallisser, „als junges Büro können wir aber nur überleben, wenn wir die Prozesse systematisieren. Damit können wir uns Freiräume erarbeiten und darlegen, dass formaler Reichtum nicht so teuer ist, wie viele meinen“.

Bevor dies auch in Deutschland einmal der Fall ist, backt Lava kleinere Brötchen – die nicht weniger komplex sind. In Arbeit ist eine Solartankstelle, deren Dach ein zweifach gekrümmtes Flächentragwerk ist. Dessen Einzelteile werden mit durchgängigen 3D-Datensätzen und automatisiertem fünffachem Laserschneider produziert. Das Dach kann unterschiedlichsten Orten und Anforderungen angepasst werden, ist einfach zu montieren, zu demontieren und zu recyceln ­– Hightech im Kleinen, Hightech vom Feinsten.

Die Entwürfe von Amunt Architekten zeugen von formalem Mut und von Freiheit im Denken. Wie sonst sollte man auf die Idee kommen, ein Haus in Form eines grauen Ritterhelmes zu bauen – wenn es für die Erscheinung des Hauses JustK in Tübingen überhaupt einen angemessenen Vergleich gibt. Und wie gelangt man bei der Erweiterung eines alten Siedlungshauses zu einem Anbau, der auch im fertigen Zustand noch aussieht wie eine Baustelle, zugleich aber mit Panoramafenstern ein selbstbewußtes Zeichen von Modernität bietet?

Die Antwort liegt bei beiden Häusern im Inneren. Jeder, der das graue Haus in Tübingen betreten hat, so haben die Architekten Sonja Nagel, Jan Theissen und Björn Martenson festgestellt, sei wie ausgewechselt. Denn Innen trifft er auf wohnliche Räume für eine sechsköpfige Familie. Er erlebt eine warme, helle Atmosphäre, die vom Baustoff Holz bestimmt ist. Größer könnte der Kontrast zwischen Innen und Außen nicht sein.

„Unsere Bauten sind nicht als Provokation gemeint und wir sind auch nicht an Zynismus interessiert“, stellt Jan Theissen klar. Vielmehr werde das Budget in die räumliche Qualität investiert. In hohe und klare Räume, große Fenster und offene Zwischenböden, die über Leitern erreicht werden können. Auf diese Weise entstehen auch unter beengten Platzverhältnissen Rhythmus, Weite und interessante Blickbeziehungen. In Deutschland sind solche Raumerfindungen eher selten. Die Inspiration dafür fanden Amunt Architekten im zeitgenössischen Japan – dem Wunderland der kreativen Einfamilienhäuser.

Und Außen? Sieht das nicht alles etwas seltsam aus? „Schönheit ist ein seltsamer  Begriff“, erläutert Sonja Nagel, „Was ist schön, was macht sie aus? Vieles ist dann doch eher Zeitgeschmack. Mittlerweile denke ich, dass Schönheit vor allem aus einer inneren Stimmigkeit heraus entsteht“. Und Björn Martenson fügt hinzu: „Beliebigkeit ist uninteressant. Die Verwendung des Flachdachs in der modernen Architektur erscheint uns dogmatisch und einengend. Das historische Vokabular ist unendlich vielfältiger, wir bedienen uns da völlig befreit“.  Das graue Haus in Tübingen, stellt sich bei dieser Gelegenheit heraus, hat ein Mansarddach und das kommt in der Umgebung häufiger vor. Außerdem bietet der Knick im Dach dem Nachbarhaus bessere Aussicht ins Tal. Die graue Folie, die das gesamte Haus überzieht, stammt aus dem Industriebau und war sehr preiswert –das Geld war schließlich schon dort verbaut, wo die Bewohner ihre meiste Zeit verbringen: Innen.

Nagel und Theissen, waren jahrelang vor allem mit Innenausbau und Messearchitektur befasst, bevor ihr Aachener Freund und Kollege Björn Martenson mit dem Haus JustK auf sie zukam. Aus dem ersten gemeinsamen Projekt wuchs eine kontinuierliche Zusammenarbeit, so dass die drei schließlich als Amunt firmierten, der Name ist die Abkürzung für Architekten Martenson und Nagel Theissen. Amunts Entwurfshaltung ist so vorurteilslos, dass Freiräume entstehen, die anderen verschlossen sind. „Manche Architekten wie etwa John Pawson sind Idealisten“, sagen sie, „Die finden in der Wirklichkeit nichts, was ihren eigenen Standards entspricht und wollen das dann selber bauen. Wir dagegen sagen: So ist die Welt, lass uns was draus machen“. Als bloßen Pragmatismus wollen sie das nicht verstanden wissen. „Pragmatisch“, sagt Sonja Nagel,  „sind unsere Bauten in dem Sinne, dass sie Antworten geben. Aber der Aufwand, den wir dafür betreiben, ist alles andere als pragmatisch“.  Und Jan Theissen fügt hinzu: „Pragmatismus ist oft eine Ausrede für geistige Trägheit. Aber wir gestalten, selbst  wenn das Budget klein ist. Entscheidungsfreiheit hat man auch dann“. Amunt nutzt diese Freiheit extensiv. Ihre  Häuser wirken wie ein Weckruf im architektonischen Einerlei und wurden mit Architekturpreisen vielfach ausgezeichnet.

Einen Klienten finden und dann zu bauen – so einfach ist das heute für keinen Architekten mehr und schon gar nicht für einen jungen. Wer Erfolg haben will, muss sich auch mit den ökonomischen und organisatorischen Bedingtheiten seines Berufes auseinandersetzen. Eine geradezu genialen Weg um an Aufträge zu kommen fanden Sascha Zander und Christian Roth in Berlin. Sie arbeiten vor allem für Baugruppen und entwickelten eine Lösung für deren immerwährendes Grundproblem: die Koordination sehr vieler, unterschiedlicher Interessen.

Dafür muss man wissen, dass sich in den Baugruppen Privatleute zusammentun um ohne Bauträger ihre Wohnungen zu bauen – ein Verfahren, das in den letzen Jahren in vielen Großstädten in Mode gekommen ist. Die Vorteile davon liegen auf der Hand: die Wohnungen sind deutlich preiswerter, weil der Gewinn des Bauträgers entfällt. Die Nachteile auch: in den Baugruppen müssen Ansprüche vieler Menschen, architektonischer Laien zudem, unter einen Hut gebracht werden. Streitigkeiten sind da vorprogrammiert. Baugruppen sind legendär langsame Bauherren und bleiben oft auch nicht in der Formation zusammen, in der sie einmal gestartet waren.

Zander und Roth haben das als Managementaufgabe aufgefasst und führen ihre Gruppen an der kurzen Leine. „Bei uns gibt es keine ausufernden Diskussionen“, sagt Sascha Zander, „wir haben das Gesamte im Auge. Die einzelnen haben ihre Wohnung im Auge“. Will sagen, innerhalb der Wohnung plant der Einzelne, außerhalb die Architekten. Dass das zu exzellenten Ergebnissen führen kann, haben Zander und Roth in zahlreichen Projekten bewiesen. Vor allem deshalb, weil ihr Fokus auf guter Architektur liegt. „Wir hätten auch selber Bauträger werden können“ sagt Zander, „aber dazu hatten wir keine Lust. Wir wollen nicht die Retroschiene in der Berliner Architektur bedienen sondern Adressen bauen“. Und Christian Roth ergänzt: „Der Aufwand, den wir dafür betreiben, ist keine Mühe, sondern unser Beruf. Wir sind dankbar, dass wir das ausleben dürfen“.

Auf diese Weise entstehen dezidiert zeitgenössische Häuser, die konventionelle Bauträger so nie bauen würden. Es sind zudem Häuser, mit denen Lösungen auch für schwierige Grundstücke gefunden werden. So bebauten Zander und Roth für eine Baugruppe am Prenzlauer Berg ein 100 Meter langes und 35 Meter tiefes Grundstück, das auffällig schlechte Lichtverhältnisse aufweist. Es ist zur Straße nach Norden ausgerichtet und im Süden durch eine Brandmauer abgeschattet. Statt eines konventionellen Wohnblockes errichteten Zander und Roth hier lieber 23 schmale und hohe Reihenhäuser. Der Lebensraum darin ist vertikal organisiert, die Lichtausbeute demokratisch verteilt, denn jeder Bewohner hat gleichermaßen untere (dunkle) und obere (helle) Zimmer, einen Dachgarten gibt es für jeden obendrauf. Dahinter, in die zweiter Reihe, stellten Architekten noch zehn Gartenhäuser, denen wiederum zwölf Penthäuser aufgesetzt sind so dass trotz schwieriger Lichtverhältnisse 45 moderne, interessant geschnittene und attraktive Wohnungen für Familien entstanden. Gefragt nach ihren ästhetischen und architektonischen Grundsätzen erklärt Sascha Zander: „Wir entwerfen ortspezifisch, also ist jedes Haus anders. Aber gewisse Ähnlichkeiten gibt es bei den Projekten doch. Sie haben innen liegende und fensterlose Treppenhäuser, damit die Wohnungen mehr Tageslicht bekommen können. Die Grundrisse sind klar und wenig expressiv“. Und sie funktionieren so gut, dass einer davon es sogar bis in den sogenannten Neufert schaffte, dem deutschen Standardwerk für rationales Bauen.

Im Logo von SoHo Architektur springt eine Wildsau durchs Bild und der Slogan dazu heißt: „frei wild jung“. Wer so auftritt, positioniert sich bewusst frech und urban. Doch SoHo arbeitet nicht in Hamburg oder Düsseldorf, sondern in Memmingen, einer 40.000 Seelen-Gemeinde in der Nähe von Ulm. Der Mann hinter der Marke SoHo heißt Alexander Nägele und er baut fernab der Metropolen in radikal zeitgenössischem Stil. Zu seinem Werk gehören Einfamilienhäuser mit Fassaden aus Plexiglas, Eternit oder schwarz gefärbtem Holz, er belässt Wände und Treppen in rohem Beton und bevorzugt insgesamt eine klare bis archaische Formensprache. Das sieht entschlossen modern aus und teilweise irritierend. Doch Alexander Nägele wiegelt ab. Seine Entwürfe seien absolut vernünftig. „Dass manche meiner frühen Häuser so radikal aussehen hängt mit meiner Arbeitsweise zusammen“, erklärt er, „ich plane von innen nach außen. Wie funktionieren die Räume? Wie sind die Bewegungsabläufe im Haus?“ Ist dort alles durchdacht, reicht es außen zuweilen nur für preiswerte Materialen. Den Bauherren, sagt Nägele, sei das Recht, wenn sie dafür ein funktionierendes Haus bekämen. Tatsächlich, fährt er fort, seien die Menschen hier in der Provinz nicht so intolerant, wie viele dächten. Die Häuser in der Region seien schon immer aufs Notwendigste reduziert gewesen, seine Entwürfe würden entsprechend schnell verstanden. Und er selbst versteht seine Bauherren. „Memmingen ist meine Heimatstadt und in Augsburg habe ich studiert. Ich habe noch nie einen Auftraggeber mit einem Designinteresse gehabt“, sagt er. Sogar die Freunde, die ihn direkt nach dem Studium ansprachen, wollten nur günstig an einen Entwurf kommen: „Da stand ich in Konkurrenz zu Fertighausanbietern und Bauträgern und musste mir etwas einfallen lassen“.  Die Inspiration funktioniert für Alexander Nägele vor allem im Dialog.  „Meine Bauherren müssen sich nicht vorgefertigten Bildern unterwerfen. Es ist ein Prozess. Sie wissen oft nicht, wie es am Ende aussehen soll und wir wissen es auch nicht“. Ganz am Anfang seines Weges stand ein kubisches Einfamilienhaus mit Plexiglasfassade. Später folgte ein vielfach ausgezeichnetes Haus, das trotz geringen Budgets spannungsvolle und interessante Innenräume aufwies. Obwohl es mit Dach und Fassade aus rotem Well-Eternit in einem Siedlungsgebiet aus der Reihe fällt wurde auch dieses Haus gut aufgenommen: „Ja“, sagt Nägele, „da kommt auch mal ein Spruch, aber es wurde dann zu einem Wahrzeichen und einer Wegmarke. Da an dem roten Haus, da musst du abbiegen, heißt es“.

Den Durchbruch schaffte Nägele dann mit einem gänzlich schwarzen Haus in der Innenstadt von Memmingen. Der Umbau, der in der Stadt sehr wahrgenommen wurde, überführte das Bestands-Gebäude in die Gegenwart, und schaffte eine Balance zwischen historischen Bezügen und moderner Formensprache. Am deutlichsten ist das ablesbar an der monolithischen Fassade, die mit schwarz lasiertem Holz Anleihen bei historischen Bauten des Viertels aufnimmt. Ein erstes Großprojekt hat SoHo schließlich mit dem Donaupark Memmingen realisiert, einem 7500 qm großen Areal mit Büros, Wohnungen und Lofts. Die Bodenhaftung hat Alexander Nägele darüber nicht verloren: „Im der Schweiz oder im Vorarlberg wäre dieses Projekt Standard und nicht weiter auffällig. Im Allgäu aber ist es ein Quantensprung“.

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