Ein bescheidenes altes Soldatenhaus bei Göteborg baute der schwedische Top-Architekt Gert Wingardh Schritt für Schritt zum Feriensitz für seine Großfamilie aus – einereseits ganz unaufdringlich und ländlich, andererseits radikal modern.
Der Umbau ist unsichtbar. Wer den Architekten Gert Wingardh in seinem Sommerhaus bei Göteborg besucht, meint zunächst vor einem alten, zumindest konventionellem Haus zu stehen. Mit seiner hölzernen Fassade, dem Satteldach, dem klassischen Schwedenrot und wuchtig steinern Stufen scheint es, als habe es so schon immer hier gestanden.
Doch der erste Eindruck täuscht. Alt ist nur die Substanz des Hauses. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Soldatenhaus, das junge Männer im 17. und 18. Jahrhundert als Entlohnung für den Kriegsdienst erhielten, zusammen mit einem Pferd und einem Gewehr. „Die Soldatenhäuser“, sagt Gert Wingardh, „sind eine schwedische Besonderheit. Sie waren klein aber sorgfältig in der Landschaft positioniert“. Eines davon hat Wingardh vor 16 Jahren gekauft und in mehreren Phasen umgebaut. Im letzten Schritt 2007 hob er das Dach um 1,2 Meter an, machte dessen Neigung steiler und die Räume des Obergeschosses höher.
Gert Wingardh gilt als der bedeutendste Architekt Schwedens. Er beschäftigt 120 Mitarbeiter, sein Werksverzeichnis ist dick wie ein Telefonbuch, er hat Schulen, Shopping Center und Gewerbebauten errichtet und die Botschaften seines Landes in Berlin und Washington. Er empfängt den Besucher barfuss zwischen den Seitenflügeln seines Hauses. Die sind wie das obere Stockwerk ebenfalls neueren Datums. Der linke Flügel wurde 1993 für die Kinder errichtet, der rechte dient als Studio. Aber wie beim angehobenen Dach ist das von außen nicht zu spüren. Erst innen, wo keine Rücksicht auf historische Formen genommen werden musste, herrscht moderne Funktionalität, gewürzt mit ländlicher Poesie.
Mit der gestalterischen Zurückhaltung wird der Grundakkord des Um- und Ausbaus angeschlagen. Er schafft Einheitlichkeit ohne sich anzubiedern und balanciert historische Optik mit aktueller Wohnlichkeit aus. Selbstverständlich ist ein solches Konzept nicht für einen Berufstand, in dem sich mancher mit seinen Bauten ein Denkmal setzen will. Vielmehr bezeichnet die Entwurfshaltung den Stil eines Architekten, dem gelegentlich vorgehalten wurde, dass er gar keinen persönlichen Stil habe. Doch was als Vorwurf gemeint ist, kann genauso als Kompliment verstanden werden. Wingardhs Gabe besteht eben in einer Modernität, die unaufdringliche aber präzise Lösungen findet.
Doch bevor der Architekt solche Details erklärt, bewirtet er erst einmal den Gast auf einer langgestreckten Veranda. Der einfach verglaste Raum, der sich rückseitig des Hauses neun Meter in die Landschaft schiebt, wird von einem vier Meter langen Eichenholztisch dominiert. Dessen Format wirft vor allem die Frage auf, wie viele Personen denn hier wohnen? Fünf Kinder aus zusammen drei Ehen haben Gert Wingardh und seine Frau Karin, seine Eltern leben auch noch und so wurde das Haus für die Bedürfnisse einer modernen Großfamilie erweitert. Der sichtbarste Teil davon liegt rückseitig. Neben der einfach verglasten Veranda zeigen da vor allem die großformatigen Fenster die Modernität des Hauses an. Sie gehören zu Wohn- und Schlafzimmer und umfassen von innen betrachtet die Natur wie ein Rahmen. Durch das so definierte Bild aus Wiese, Fels und Meer sei schon fast jedes Tier der heimischen Fauna einmal gelaufen, berichtet der Hausherr, sogar die scheuen Füchse, dazu Nerze, Dachse, Hirsche und Elche. Nur Bären und Wölfe hätten sich noch nie gezeigt, was irgendwie auch ganz beruhigend sei.
Dann steigt Gert Wingardh eine gewundene Holztreppe hinauf ins Schlafzimmer. Das ist der jüngste Raum im Haus und an ihm lassen sich noch einmal die Schlichtheit und Originalität seiner Architektur erläutern. Der Raum ist von der Decke bis zum Boden in Weißtönen gefasst, inklusive der 14 Einbauschränke. Einziger Farbtupfer im Zimmer sind ein paar alte Ziegel, die den Boden des Kamins bilden. Trotz der formalen Strenge aber wirkt der Raum nicht kühl, was vor allem an dem teils rau belassenen Holz liegt. In dem Kinderflügel haben ähnliche Hölzer sich schon leicht verzogen, was den Eindruck von gewachsener Struktur und rustikaler Patina hervorruft. An der Giebelseite des Schlafraums hat Wingardh zwischen den Leisten Lichtschlitze gelassen, ein Motiv, das in der lokalen Architektur zur Belüftung von Scheunen dient – dort allerdings ohne Verglasung. „Es ist ein romantischer Gestus“, grinst der Architekt, „wir mögen die Idee, hier wie im Stroh zu liegen“.
Was fehlt ist eine Verschattung des Fensters. Wird der Raum dadurch nicht zu heiß? „Die Hitze bekommen wir schnell wieder raus“, sagt Wingardh und öffnet dafür zwei verborgene Türen rechts und links des Fensters. Sofort entsteht ein Luftzug und der wird gleich ästhetisch inszeniert. Dafür zieht Wingardh auf einer halbrund verlaufenden Schiene zwei weiße Vorhänge vor das Fenster, die nun im Luftzug theatralisch wehen. Es zeigt sich: das kleine Holzhaus, das auf den ersten Blick so unaufgeregt anmutet, steckt voller Raffinesse. Deren Details reichen von der Vierfachverglasung im Studio über die Dachbegrünung auf den Anbauten bis zum Farbkonzept in den einzelnen Räumen: das Holz ist hier in kräftigen und modernen Farben gestrichen, und zwar von der Decke bis zu den Wänden, inklusive Heizkörper. Die beste Investition von allem, sagt Gert Wingardh, aber sei ein riesiger Herd (von Gaggenau) gewesen. Darin können, wenn die langen Tische wieder einmal voll besetzt sind, bis zu drei Hühner gleichzeitig gerillt werden.
Komplimente von der Familie hat Wingardh für sein Haus natürlich schon viele bekommen. Das tollste aber, erinnert er sich, sei aus einer Putztruppe von tätowierten und gepiercten jungen Frauen gekommen. 200 Villen hatten die in ihrem Leben schon gereinigt. Aber diese hier, so das einhellige Urteil der Punk-Jury, sei die coolste von allen!