ICON Magazin Oktober 2018 Das Bauhaus wird 100 – und Tecta liefert die Geschenke: Die Firma aus Niedersachsen fertigt europaweit die meisten Möbel-Ikonen der berühmten Werkkunstschule. Seniorchef Axel Bruchhäuser hat viele Gestalter noch persönlich kennengelernt. Kein Wunder, dass er voller Geschichten steckt. Christian Tröster hat einfach zugehört.
Das Bauhaus lebt. Aber nicht in Weimar oder Dessau, sondern in Lauenförde, einem 3000 Seelen-Örtchen im Süden Niedersachsens. Die Weser fließt von hier aus noch 350 Kilometer bis zur Nordsee und die nächstgelegenen Orte heißen Uslar, Trendelburg oder Brakel. Was hat das Bauhaus hierher verschlagen?
Wer das wissen will, nimmt die B 241 durch den Solling, das wahrscheinlich unbekannteste Mittelgebirge Deutschlands, und erreicht irgendwann in einer Seitenstraße von Lauenförde die Firma Tecta. Und damit einen der eigenartigsten, großartigsten und deutschesten Orte unseres Landes. Zwischen 50er Jahre Siedlungshäusern und einem Gewerbemischgebiet hat sich der Möbelproduzent angesiedelt und fertigt hier Bauhausmöbel in Serie – ein Mittelständler, der aus der Provinz die ganze Welt beliefert. Gerade wird ein Karton für Korea verpackt und regelmäßig gehen Möbel nach Japan. Das Bauhaus ist weltweit gefragt, am liebsten mit Echtheitssiegel. „Wir können in Europa die größte Zahl an Bauhaus-Signets vorweisen“, erklärt Senior-Chef Axel Bruchhäuser. Gemeint ist das runde Zeichen mit der Aufschrift „original bauhaus modell“. Entworfen wurde es einst von Oskar Schlemmer. Heute wird es vom Bauhaus Archiv für werkgetreu in Lizenz gefertigte Möbel vergeben. Insgesamt dreißig davon stellt Tecta her, darunter Walter Gropius’ Direktorensessel und Mies van der Rohes B 42, den sogenannten Weißenhof-Stuhl.
Doch mit diesen Fakten allein ist Tecta nicht beschrieben. „Schon als Kind war ich von diesem Ort fasziniert“, erinnert sich Christian Drescher. Er ist der Neffe von Axel Bruchhäuser und führt heute mit dem Onkel gemeinsam die Geschäfte. Der Ältere war schon immer mehr als Geschäftsmann ein Fan der eigenen Produkte, ein Forscher, ein Freund der Designer und Fanatiker der konstruktiven Gestaltung. Und weil er so begeistert ist von seiner Sache, hat er auch noch das Kragstuhlmuseum gegründet, ein Haus, das einer einzigen Idee gewidmet ist: dem Freischwinger, wie er zuerst am Bauhaus entwickelt und danach vielhundertfach variiert worden ist. „Ich habe Kommunikation studiert“, sagt Christian Drescher, „aber in Lauenförde traf ich anfangs auf eine eigenwillige Auffassung von Unternehmenskommunikation. ‚Wir machen da gar nichts’ sagte mein Onkel damals und zitierte sein Vorbild Mart Stam: „eine gute Sache propagiert sich selbst’“.
Axel Bruchhäuser zieht unterdessen in den lichtdurchfluteten Geschäftsräumen die Schubladen auf. „Alles Original-Dokumente! Hier haben wir die Korrespondenz mit Ati Gropius der Tochter des Bauhaus Gründers, mit Gerrit Rietveldt, Jean Prouvé und Sergius Rugenberg“. Letzterer war der Assistent von Mies van der Rohe und hat in dessen Auftrag sowohl den Weißenhof Stuhl als auch den berühmten Barcelona Chair entworfen. Die Original-Zeichnungen hängen bei Tecta im Flur. „Mies hat mit einer großen Handbewegung die Rundung vorgegeben“, weiß Axel Bruchhäuser, „den Rest hat Rugenberg erledigt“. Es sind solche Details, denen Bruchhäuser in unermüdlicher Arbeit nachgespürt hat. Er traf Marcel Breuer in New York und führte lange Interviews mit Heinz Rasch, einem Zeitzeugen der Bauhaus-Ära. Und sogar den verschollen geglaubten Mart Stam konnte er aufspüren. Der Niederländer, der als eigentlicher Erfinder des Freischwingers gilt, lebte zuletzt unter wechselnden Namen in der Schweiz. „Heller“ stand an der Tür, an der Bruchhäuser schließlich klingelte, hier gab ihm Mart Stam 1977 sein wohl letztes Interview. Das Thema, selbstverständlich für Axel Bruchhäuser, die Erfindung und Entwicklung des Freischwingers. Tectas Seniorchef kann darüber aus dem Stegreif Vorträge halten, er ist wandelndes Lexikon, Zeitzeuge und Beteiligter in einem: „Die Idee stammte von El Lissitzky. Mit seinem auskragenden Wolkenbügel entwarf er 1924 das Bild einer schwerelosen Architektur. Mart Stam, Mies van der Rohe und Marcel Breuer nahmen dies in ihren Entwürfen zu hinterbeinlosen, also halb schwebenden Stühlen auf“. Jean Prouvé schließlich, mit dem Tecta langjährig zusammenarbeitete, verbesserte 70 Jahre später die Statik, indem er das Stahlrohr an den belasteten Stellen abflachte. Die stabilisierenden aber schwere Einlagen in den Rohren konnten damit entfallen. „Tube aplati nannte Prouvé das“, weiß Axel Bruchhäuser, „das einfach runde Rohr nannte er gedankenlos und meinte damit Breuer“. Dann erklärt Axel Bruchhäuser das Geflecht des Weißenhof-Stuhles, das von Lilly Reich in den zwanziger Jahren entwickelt wurde. „Die Flechterei war in einem Nebenraum von Mies’ Studio untergebracht“, weiß er und begeistert sich für die Komplexität des doppellagig verarbeiteten Flechtwerks aus Rotang-Palme. Ohne Geflecht kein Weißenhof-Stuhl: „Die weibliche Komponente des Bauhauses wird total unterschätzt!“ Heute ist Hansgert Butterweck einer der letzten Fachleute dafür in Deutschland. Er hat seine Werkstatt im Nachbardorf Dalhausen, kaum zehn Kilometer von Lauenförde entfernt. „Wir unterstützen das Handwerk, um das exakte Geflecht von Lilly Reich nacharbeiten zu können,“ erzählt Christian Drescher. „Wir möchten nicht, dass diese wichtige Kunst eines Tages verloren geht.“
Es ist diese Besessenheit bis ins Detail, die die Firma Tecta bis heute prägt, ein Agieren mehr aus Leidenschaft und Interesse denn aus kurzsichtiger Wirtschaftlichkeit. Unternehmensberater in schmal geschnittenen Anzügen hätten jedenfalls nicht zur Eröffnung eines monothematischen Designmuseums im Solling geraten und sie hätten gewiss auch nicht dafür plädiert, dafür Alison und Peter Smithson zu engagieren. Die britischen Architekten, in Deutschland nahezu unbekannt, waren radikale und experimentelle Theoretiker, zwischenzeitlich Vertreter des Beton-Brutalismus und sie gelten Insidern noch heute als wichtige Exponenten der Moderne. Ihr Museum in Lauenförde wird gar als eines der bedeutendsten Werke der Nachkriegsmoderne in Deutschland beschrieben. Den strengen und rationalen Stil des Bauhaus sucht man an dem Gebäude allerdings vergeblich, mit seinem roten Stahlfachwerk erinnert es eher an die Zeit der britische Pop Art. Es dominiert ein Fachwerk aus rotem Stahlgestänge, viel Glas und an den Giebeln thronen keck überdimensional stilisierte Stühle – Kragstühle, um genau zu sein.
„Die Pflege der Tradition ist bei uns kein Selbstzweck“, erklärt Christian Drescher, „wir wollen das weiter entwickeln und mit den Designern zusammenarbeiten, die wie die Bauhausarchitekten forschend vorangingen“. ‚Freie Radikale’ wie die Smithsons passten da in den 80er Jahren perfekt ins Bild, oder auch Stefan Wewerka, der Künstler-Designer, der für Tecta den Stuhl ganz neu dachte – sieben verschiedene Sitzhaltungen sollen auf seinem Dreibeiner möglich sein. Heute werden bei Tecta Stühle wie der Split Chair entwickelt, der in überraschender Weise an die Tradition der klassischen Stahlrohmöbel anschließt. Designer Daniel Lorch arbeitet dafür mit einem mittig gespaltenen Rohr – eine Idee, die den Stahlbau an seine Grenzen und darüber hinaus führte. Sieben Jahre brauchte Lorch, um den Stuhl bis zur Marktreife zu entwickeln. Erst der Kontakt mit Tecta und neue Techniken wie 3D-Laserschneiden entlang eines gekrümmten Objektes ermöglichten eine wirtschaftlich Produktionsweise. „Tecta hatte zusammen mit Jean Prouvé schon das abgeflachte Rohr entwickelt“, sagt Daniel Lorch, „und später diese Biegung, bei der ein Flachrohr schräg in 45°-Winkel gebogen wird. Daraus entstand eine Poesie des Konstruktiven, die auch dem Split-Chair zugrunde liegt“. Daran, dass das Bauhaus in dieser Weise weiterlebt, arbeiten in Lauenförde Unternehmer, Designer und Handwerker Hand in Hand – und fühlen sich damit tief in die Tradition der Moderne eingebettet.