Unmöglich gibt’s nicht

By | 28. November 2018

Ellen van Loon ist in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt. Doch sie ist eine der großen, radikalen Architektinnen der Gegenwart.

ICON Magazin Oktober 2018       Ellen van Loon, Büropartnerin bei Rem Koolhaas‘ OMA, hat den Axel Springer Campus in Berlin entworfen. Der Bau ist wie sie selbst: Angstfrei, offen und kompromisslos in der Sache. Christian Tröster traf sie in Rotterdam.

Vielleicht muss man als Kind auf einem Schiff gelebt haben um so zu werden wie Ellen van Loon. Die niederländische Architektin führt als Partnerin eines der radikalsten und anspruchvollsten Architekturbüros der Welt, betreut Groß-Projekte von Kopenhagen bis Korea und sagt: „Ich glaube, ich haben einfach keine Angst. Ich mag Projekte, die alle anderen für unmöglich halten. Das ist für mich der Antrieb”. Die fremden Häfen der Kindheit, ein Leben im Fluss, auf einem Binnenschiff, die gigantischen Dimensionen von Frachtern und Werften, die ungewohnten Perspektiven – all das mag Ellen van Loon geprägt haben.

Heute blickt sie von ihrem Büro in Rotterdam über den Himmel ihrer Heimatstadt. Sie arbeitet im sechsten Stock eines pragmatischen 70er Jahre Hochhauses. Nüchtern sind darin auch die Räume von OMA, dem Office for Metropolitan Architecture. Man würde kaum glauben, dass in den belanglosen Großraumbüros eine der wichtigsten Architekturfabriken der Welt residierte, wären da nicht diese irritierenden Modelle. Ein Gebäude mit einer Hülle aus Aluminiumschaum – seltsam ist noch der harmloseste Ausdruck dafür. Dann ist da ein Modell von drei Hochhäusern, die fast ängstlich eng zusammengerückt sind – „de Rotterdam“, die höchsten Häuser der Stadt und zusammen ein vertikales Universum aus Behörden, Wohnungen, Hotel und Museum. Oder ein Modell der Casa de Musica in Porto, ein Konzerthaus, gestaltet als seltsam verzerrter und facettiertes Betonobjekt. Man versucht, sich in die komplexen Formen einzulesen, bis Ellen van Loon zum Gespräch erscheint. Tiefenentspannt und wach zugleich gibt sie Auskunft über die Arbeit als eine der gefragtesten Architektinnen der Welt. Nur manchmal, ganz kurz, blitzt da die Freiheit und Frechheit auf, die die Architektur von OMA ausmacht. „Wir mögen keine Kompromisse“, sagt sie. Oder: „Wir entwerfen manchmal Sachen, da fragen wir uns selber, wie das gehen soll.“

Viele der Modelle zeigen ihre Gebäude. Der Entwurf der gigantischen Zentralbibiothek in Katar stammt von ihr und die Zentrale der Modemarke G-Star-Raw, die aussieht wie ein Hangar. Ihr aktuellstes Projekt ist der Axel-Springer-Campus in Berlin und wenn nicht ‚unmöglich‘, so wird dieses Gebäude ganz sicher eines der herausragendsten, ehrgeizigsten und modernsten in Berlin werden. Es soll für die Transformation der Medienbranche und für die Digitalisierung der Wirtschaft als Ganzes stehen und eine Brutstätte für Kreativität, für Austausch und moderne Arbeit werden.

Doch wie sieht so etwas konkret aus? Zunächst: Der Axel-Springer-Campus ist ein Block. Doch statt den Lichthof konventionell in die Mitte zu setzen fräste Ellen van Loon ihn wie ein 40 Meter tiefes Tal diagonal durch das Gebäude – die Belichtung erfolgt über die Ecken, die sich wie gigantische Haifischmäuler öffnen. Innen, an den Talhängen, staffeln sich die Büros mit offenen Terrassen und quer hinüber läuft eine 26 Meter breite Brücke, in der später der Newsroom der „Welt“ untergebracht werden soll. Das Ganze wirkt wie eine Installation, irgendwo zwischen Kathedrale und Fritz Langs Metropolis. De facto ist es ein nach innen gestülpter und in drei Dimensionen gestapelter Campus, in dem kleinere Einheiten mit- und nebeneinander arbeiten sollen.

Ellen van Loons Entwurf würde in jeder Stadt Aufsehen erregen. In Berlin aber sprengt er den Rahmen des Üblichen – man denke an die Stein gewordene Einfallslosigkeit rund um den Hauptbahnhof. Viel zu hoch für die örtlichen Bauvorschriften war der Vorschlag dann auch noch.  „Es ist eine unserer Spezialitäten, solche Bauhöhen durchzukriegen“, erklärt die Architektin selbstbewusst – wie das geht, dazu später mehr. Vielleicht aber hat ihr im konkreten Fall geholfen, dass sie fließend Deutsch spricht. 1991 kam sie als junge Architektin nach Berlin und erlebte eine wilde, freie und seltsame Stadt: „Es gab Wohngemeinschaften, in denen mit den Herdplatten geheizt wurde. Im Prenzlauer Berg fehlte die Straßenbeleuchtung und an der einzigen Telefonzelle standen die Menschen 30 Meter Schlange. Und dann all diese geheimnisvollen Kellerbars…“ Ellen van Loon war damals 28 und die Stadt, nach dem Mauerfall im Auf- und Umbruch, entsprach ihrem Lebensgefühl. Eine Woche nach ihrer Ankunft hatte sie Arbeit und Wohnung gefunden – auch so etwas gab es einmal in Berlin. Geplant war ein Aufenthalt von einem Jahr, es wurden fünf, vor allem, weil sie für Norman Foster am Reichstag mitarbeitete. Als sie nach Holland zurückkehrte, war sie mit ihrer ersten Tochter schwanger, eine zweite kam wenige Jahre später, die Mädchen sind heute junge Erwachsene.  Auch wegen der Familie suchte Ellen eine Arbeit, bei der sie spätestens um 18 Uhr Feierabend war. Die fand sie auch, „aber das war so langweilig, dass ich dachte: wenn das mein Leben ist, habe ich keine Lust mehr auf Architektur“. Und dann begegnete sie Rem Koolhaas, dem großen Radikalen, dem Freidenker und Provokateur der Gegenwartsarchitektur. Er ist der Gründer und Frontmann von OMA. „Das Bewerbungsgespräch dauerte den ganzen Tag“, erinnert sich Ellen, will heißen, sie arbeitete gleich mit, ihre Expertise und ihre Ideen waren gefragt. Und sie ist geblieben, 21 Jahre ist sie nun bei OMA und führt als eine von neun Partnern bedeutende Projekte.

Ihre Feuertaufe als Partnerin erlebte sie 2005 bei der Casa de Musica, einem Konzerthaus in Porto, das bis heute als eines der wichtigen Bauten von OMA gilt. Es war eine anspruchsvolle Aufgabe und zugleich das Gebäude, bei der sie jede Angst verlor. „Ich dachte, ich würde das niemals schaffen. Aber dann ist mir klar geworden, dass ich keine Angst haben muss. Ich muss mein Hirn benutzen und mein Team mit einbeziehen. Wir arbeiten bei OMA mit verdammt guten Leuten und verdammt guten Ingenieuren zusammen“.

Seither hat sie zahlreiche Großbauten realisiert und sagt: „Je komplexer ein Projekt ist, desto mehr Freude macht es mir“. Und ja, mit Rem Koolhaas gestritten habe sie sich auch schon mal, sogar angeschrien, das gehöre dazu. Doch natürlich überwiegt die partnerschaftliche Arbeit. „Man kann bei uns in sehr unterschiedlichen Konstellationen arbeiten. Jeder arbeitet selbständig. Aber es ist schön, dass man manchmal auch nicht selbständig ist. Weil es hilft, eine Sache aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet zu bekommen.“ OMA sei kein Stuio, in dem ein genialischer Chef eine Skizze mache und andere arbeiteten das dann aus. „Wir sind ein sehr experimentelles Büro, wir probieren viel aus und da ist es besser, wenn man mit mehreren zusammenarbeitet.“

So kooperativ das angelegt ist, ab einem bestimmten Punkt kommt dann die Stunde der Kompromisslosigkeit. Jedes Projekt, weiß Ellen van Loon, ist in Gefahr zerredet und verwässert zu werden. „Man beginnt mit dem Bauherrn in kleiner Runde, vielleicht sechs Leute. Aber ein Projekt zieht sich über Jahre hin und am Ende sind hunderte von Menschen involviert.“ Jeder davon hat eine Meinung, nicht immer aber ein Verständnis des Gesamtentwurfs. Und die bekommen es dann mit Ellen van Loon zu tun. „Nach der Kreativität ist es die wichtigste Aufgabe dafür zu sorgen, dass das Projekt auch in der Qualität realisiert wird, wie man es geplant hatte. Da muss man unheimlich viel lernen auf der Ebene des Managements.“ Dafür kämpft sie, „Ich bin direkt, ich habe eine Meinung und ich drücke sie auch aus.“

Augenmaß und politischer Klugheit sind dann in einer späteren Phase nötig, um die Entwürfe auch zu realisieren. Da ist zum Beispiel die Frage nach den Bauhöhen, zum Beispiel in Berlin. Persönliche Gespräche seien wichtig, sagt Ellen van Loon, man müsse die Akteure und Entscheider auf politischer Ebene kennen und gute Gründe für seine Vorschläge haben: „Man kriegt große Projekte nur durch, wenn man der Stadt etwas zurückgibt, wenn sie lebendiger und schöner wird“. Also erhielt der Axel-Springer-Campus straßenseitig Cafés und Restaurants und oben drauf eine Grünfläche, die mehr ein kleiner Park als eine Terrasse ist. „Unsere Ideen haben immer etwas mit dem Ort zu tun und der Geschichte“, sagt sie, „da sind die Leute empfindlich.“ In Berlin war das legendäre und nie realisierten Hochhaus von Mies van der Rohe ein Bezugspunkt. Das Projekt von 1921, das in keiner Vorlesung über moderne Architektur fehlen darf, wäre das erste gläserne Hochhaus der Welt geworden, an der Friedrichstraße, noch dazu für einen Verlag. Der Axel Springer-Campus nimmt Elemente von dessen Fassadengestaltung auf und setzt damit ein wohlüberlegtes Zeichen für Innovationskraft und Optimismus, mitten in Berlin.

„Unsere Vorschläge fühlen sich manchmal so an, als ob sie extrem seien“, sagt die Architektin, „aber im Grunde genommen sind sie funktional, analytisch und konzeptuell, wir sprechen damit nur etwas aus, was andere sich nicht auszusprechen trauen“. Perfekt seien die Ergebnisse trotzdem nicht, „Es gibt kein perfektes Gebäude. Wenn es das gäbe, würden alle Häuser gleich aussehen, wer will denn das?“ Zufrieden aber sei der Auftraggeber fast immer: „Selbst wenn wir uns gestritten haben und Dinge umgesetzt haben, die er nicht wollte. Am Ende ist er froh, dass wir das durchgeführt haben.“ Vielleicht muss man auf einem Schiff aufgewachsen sein, in Berlin nach dem Mauerfall gearbeitet, ‚unmögliche‘ Gebäude entworfen und zwei Töchter neben einem Fulltime-Job groß gezogen haben, um so zu agieren. Ein Segen für die Architektur, für das freie Denken und für Berlin ist die Arbeit von Ellen van Loon allemal.

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