Alles von Pappe

By | 24. Oktober 2013

geo heilmeyerGEO 5/2011

Ob Säulen oder verschlungene Interieurs: Ein Zürcher Architekt produziert surrealistische Formen aus Pappe.

„Das gibts doch gar nicht!“ und „Was ist das denn?“ Wenn Architekt Michael Hansmeyer in seinem Zürcher Studio Besucher empfängt, erlebt er immer wieder ein Staunen, das an Fassungslosigkeit grenzt. Was für Formen, was für ein Detailreichtum, was für seltsame Säulen! So unglaublich wirken diese Objekte, dass sie auf Bildern meist für Computergrafiken gehalten werden. Aber die Hansmeyer-Säulen gibt es tatsächlich, sie sind 2,70 Meter hoch und gemacht ausgerechnet aus Pappe. Doch das Material ist noch das am wenigsten bemerkenswerte an ihnen. Es ist die Oberfläche, die in bis zu 16 Millionen Facetten aufgebrochen ist – wie viele es genau sind, weiß nicht einmal der Architekt selber. Denn die wulstigen, zugleich stacheligen und ineinander verschlungenen Formen kommen direkt aus dem Computer.

„Die Ursprungsform ist ein Zylinder bzw ein Sechzehneck“ erläutert Hansmeyer, der in Deutschland geboren wurde und in New York Architektur studiert hat, „ich habe die Software so programmiert, dass sie jede einzelne Seite immer weiter unterteilt, in Relation zu den Nachbarfacetten“. Auf diese Weise entsteht innerhalb des überwältigenden Detailreichtums immerhin eine Ordnung, die entfernt an die Kannelierung klassischer Säulen erinnert. „Anders als bei barocken Formen oder solchen aus dem Rokkoko“, erklärt Hansmeyer  weiter, „gibt es hier aber kein ursprüngliches Element, keine Blume oder Girlande, die dann variiert wird“. Der Ausgangspunkt sind allein Algorithmen, die vom kalifornischen Pixar-Studio („Toy Story“) entwickelt wurden. Anders als die Trickfilmer aber, die flächige Formen mit der optischen Anmutung von Räumlichkeit brauchen, ging es Hansmeyer um die Produktion von dreidimensionalen Objekten. Deshalb kombinierte er die Pixar-Software mit einem anderen Programm, dass die computergenerierten Formen in tausende von Scheiben zerschnitt. Damit war der relativ schlichte Weg für die Produktion geöffnet. Die Formen werden per Laser aus je ein Millimeter dicken Pappen geschnitten. Die werden dann aufeinander gestapelt – fertig ist die Säule. „Nicht einmal Klebstoff wird dafür benötigt“, sagt Michael Hansmeyer. Der Zusammenhalt der Pappen wird durch hölzerne Stangen im Säulen-Kern gewährleistet. Auf diese Weise können die Säulen auch wieder auseinander genommen und transportiert werden.

Pro Pappe braucht der Laserschneider fünf Minuten, so dass eine Säule mit 2700 Schichten in 225 Stunden hergestellt werden kann. Trotz dieses Zeitaufwands ist das Produktionsverfahren auch konkurrierenden Hightech-Methoden überlegen. „Wir haben bei verschiedenen Firmen für Rapid Prototyping angefragt“, also Anbietern von 3D-Druckverfahren. Doch die mussten passen. „Deren Maschinen“, berichtet Hansmeyer, „können nicht mehr als 500.000 Facetten herstellen. Die benötigte Speicherkapazität wächst exponentiell mit den Facetten, und die Maschinen verheddern sich bei den überschneidenden Formen der Säule“.

Bei aller Begeisterung für Hightech-Opulenz und Software-Frickelei bleibt am Ende eine Hausfrauen-Frage: Die Säulen wirken wie Staubfänger. Wie macht man die sauber?

Die Hausfrau in Michael Hansmeyers Welt ist natürlich eine Hightech-Hausfrau und besitzt einen Hochdruckreiniger. „Bei Pappe oder Holz ist das zwar nicht so einfach“, sagt Hansmeyer, „das müßte man lackieren. Aber wir wollen jetzt eine Säule in ABS-Plastik produzieren, da ist die Reinigung gar kein Problem“ – und dann sollen ganze Gewölbe mit dieser Technik hergestellt werden.

Christian Tröster

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