Ausflugsziel Abenteuer-Shop

By | 16. Oktober 2013

abenteuershopSpiegel Spezial, 24.6.2008

Von Tröster, Christian

Mit aufwendigen Inszenierungen verführen Einkaufszentren und Fachgeschäfte Besucher zum Verweilen. Denn: Je länger die Kunden bleiben, desto mehr kaufen sie. Vorbild für das Shop-o-tainment ist Las Vegas.

Ein Laden wie ein Urlaubsort. Gleich hinter dem Eingang plätschert ein Teich mit Kanus und Kajaks. Darüber zwitschern die Vögel, und wenn der Blick nach oben gleitet, sieht man ein Blätterdach, getragen von schlanken, hohen Bäumen. Hier möchte man bleiben, und glaubt man Klaus Weichbrodt, dem Filialleiter des Outdoor-Ausrüsters Globetrotter in Köln, dann geben die Kunden diesem Bedürfnis von Herzen nach: Bis zu zwei Stunden verweilen sie im Geschäft, und manche kommen dafür sogar, wie zu einem Ausflugsziel, über Hunderte Kilometer angereist.

Krise im Einzelhandel? Nicht bei Globetrotter. Geiz-ist-geil-Kampagnen perlen an den Expeditionsexperten ab wie Wasser von einer Gore-Tex-Jacke, und Preise auf Everest-Niveau schrecken die Kunden so wenig wie echte Berge. Wenn ein Anorak 800 Euro kostet, so erlebt es Weichbrodt immer wieder, „da sagen manche: ‚Packen Sie mir doch gleich zwei ein!'“

Ein Baustein für seine Verkaufserfolge sind die Ladengeschäfte des Ausrüsters, die von dem Hamburger Architekten Holger Moths als Mischung aus Abenteuerspielplatz, Teststrecke und Themenpark angelegt wurden. Da können die Kunden unter einer Dusche Regenkleidung testen, in einer Kältekammer mittels Infrarotkamera die Isolation von Schlafsäcken überprüfen, und selbst die Toiletten sind noch zum Event aufgebrezelt. In Hamburg sehen sie aus wie ein Hock-Klo im Dritte-Welt-Stil. Die Herrentoilette der Kölner Filiale stammt aus einem alten Fischkutter, im Bullauge läuft ein Video, das schwankenden Meeresblick suggeriert. Derlei Späße werden vom Publikum dankbar angenommen, die Umsätze steigen in den so dekorierten Geschäften kontinuierlich.

„Wir wundern uns selber über den Erfolg“, sagt dazu Holger Moths, „dabei ist alles ganz einfach. Wenn ich höre, dass anderswo über die Schließung der Kundentoiletten diskutiert wird, weil sie zu teuer sind und Platz verbrauchen, kann ich nur mit dem Kopf schütteln.“

Aus dem Nichts geschöpft aber hat auch Globetrotter seine Abenteuerwelt nicht. Zusammen mit den Geschäftsführern reiste Moths vor der Eröffnung der ersten großen Filiale in Berlin durch die USA und wurden bei den dortigen Outdoor-Supermärkten fündig. So betreibt der Jagd- und Angelspezialist Bass Pro in den USA 46 Filialen, die mit Kletterwänden, Wasserfällen und Riesenaquarien ausgebaut sind. Die Shopping-Pfadfinder aus Hamburg kamen, sahen und staunten. Kopieren aber wollten sie das Gesehene nicht. Ausgestopfte Tiere als Jagdtrophäen, so vermuteten sie, würden bei der deutschen Kundschaft ebenso wenig ankommen wie Felsen aus Pappmaché.

„In den Globetrotter-Geschäften bauen wir die Natur nicht nach“, sagt Holger Moths, „sondern schaffen Möglichkeiten zu gedanklichen Assoziationen.“ Entsprechend ist die Eiskammer hier kein Iglu aus Styropor, sondern ein technisch anmutender Raum. Die Kletterwände sind aus Plexiglas, und eine Kolonie von Blattschneiderameisen krabbelt zum Vergnügen der Kinder nicht durch einen künstlichen Dschungel, sondern durch eine Glasröhre. „Jeder hat seine eigenen Erinnerungen an Urlaub und Natur“, weiß Holger Moths, „die Phantasie darf nicht zu sehr eingeengt werden.“

Aime-Faktor nennen Fachleute die Fähigkeit des Konsumenten, sich aus Informations-Puzzlesteinen ein eigenes Bild zusammenzusetzen. Das Kürzel steht für Amount of Invested Mental Elaboration, sinngemäß zu übersetzen als geistiger Aufwand zum Verständnis komplexer Situationen. Die Technik, auf diese Weise Spannung zu erzeugen und die Aufmerksamkeit zu binden, wird traditionell im Film, aber zunehmend auch im Ladenbau eingesetzt. „Wenn der Aime-Wert hoch ist“, weiß der Shop-Spezialist Christian Mikunda aus Wien, „hat der Zuschauer Spaß und fühlt sich auf vibrierende Weise lebendig und beschwingt.“ Er grast bereitwillig auch noch die letzte Ecke des Ladens ab. Entsprechend, sagt Reinhard Peneder vom österreichischen Ladenbau-Konzern Umdasch, „hat jeder amerikanische Store ein Drehbuch und jeder Wandabschnitt wird bespielt wie ein Theater“.

Um solche Strategien zu studieren, organisiert Peneder für seine Kunden regelmäßig USA-Reisen. Höhepunkt der Touren ist stets Las Vegas, wo viele Einkaufszentren zu Shop-o-tainment-Palästen ausgebaut sind. So wartet die Forum Mall des Hotels Caesars Palace mit einem nachgestellten Untergang der Stadt Atlantis auf. Mit Roboterfiguren, stürzenden Säulen, Feuer, Wasserfontänen und Musik versinkt die antike Metropole jede Stunde in einem großen Becken. Das Spektakel, das genau wie Globetrotters Kanu-Teich viel Raum verbraucht, wirkt so attraktiv, dass die Fläche des Einkaufszentrums zuerst verdoppelt und dann verdreifacht werden musste. Damit die Kunden nach der Show nicht gleich wieder gehen, takteten die Betreiber die Veranstaltungen in der Mall (neben dem Atlantis-Brunnen gibt es noch mehrere andere Attraktionen) so, dass man mindestens eine Stunde bleiben muss, um alle gesehen zu haben. Denn die Verweildauer ist für den Einzelhandel die entscheidende Größe im Kampf um Umsätze. Kein anderer Faktor, etwa Preis oder Präsentation der Ware, wissen die Experten, hat einen ähnlich hohen Einfluss auf die Umsätze wie die Länge des Aufenthaltes im Geschäft: Ich kaufe, weil ich schon mal da bin.

Damit das möglichst lange der Fall ist, nutzen Ladenbauer und Händler nicht nur in Las Vegas die Tricks sämtlicher Disziplinen, von der Psychologie über die Lichtregie bis zur Architektur. Da wird in den Umkleidekabinen dasselbe Licht eingesetzt wie an der Metzgertheke – damit der Teint des Kunden genauso appetitlich wirkt wie das Schweineschnitzel in der Auslage. Im Schuhgeschäft wird künstliches Lederaroma versprüht. Und die Wege der Kunden in Läden und Einkaufsstraßen sind Objekt ausführlicher Studien. So sind die Shops im Caesars Palace entlang einer leicht geknickten Hauptachse organisiert. Die Biegung, hat der promovierte Theaterwissenschaftler Christian Mikunda analysiert, entschleunigt die Schritte der Besucher und lädt zum Besuch einzelner Geschäfte ein. Am Ende des ersten Wegabschnitts aber, genau wenn die Kunden keine Lust mehr haben weiterzuwandern, entdecken sie die Großattraktionen. Ihr Schritt beschleunigt sich wieder und führt sie an weiteren Geschäften vorbei.

„Wir arbeiten nach dem gleichen System wie Las Vegas, nur nicht so plakativ“, sagt Klaus Striebich von der Firma ECE, Europas größtem Betreiber von Einkaufszentren. „Es geht ja nicht mehr darum, einen Einkaufszettel abzuarbeiten, sondern darum, kostbare Freizeit zu verbringen“. Deshalb werden in den deutschen Einkaufszentren inzwischen die Gastronomieanteile erhöht, es gibt sogenannte Relaxzonen und Brunnenanlagen, an denen die Kinder spielen können – alles im Dienste der Verweildauer.

Als Patentrezept aber setzen die Händler auf Sehenswürdigkeiten, die die Menschen auch dann anziehen, wenn sie gar nichts zu kaufen beabsichtigen – bis dahin jedenfalls. Deshalb stattet die Luxusmarke Louis Vuitton ihre Filiale an den Champs-Élysées mit teuren, zeitgenössischen Kunstwerken aus. Deshalb gestaltet das Designerduo Viktor & Rolf seine Mailänder Filiale so, als ob sie auf dem Kopf stünde. Deshalb wartet das Stadion Center in Wien mit einem Wasserfall aus Eis auf, und deshalb leistet sich ein Hotel wie das Radisson SAS in Berlin ein mehrstöckiges Aquarium, durch dessen Mitte auch noch ein gläserner Fahrstuhl schwebt.

So erfolgreich sind solche Attraktionen gelegentlich, dass sie sich nicht einmal über T-Shirt-Verkauf oder Cappuccino-Umsatz refinanzieren müssen. So müssen die Besucher der Autostadt Wolfsburg am Eingang 15 Euro bezahlen und noch einmal 8 drauflegen, wenn sie das Parkhaus der Firma besichtigen wollen – jenen Turm, in dem die Fahrzeuge bis zur Auslieferung abgestellt sind. Immerhin zwei Millionen Besucher pro Jahr wollen das sehen und machen die Autostadt damit zum beliebtesten Ausflugsziel Niedersachsens. Die Kristallwelten der Firma Swarovski in Österreich (Eintritt 9,50 Euro), ein Themenpark mit angeschlossenen Verkaufsräumen, rückten sogar zur beliebtesten Touristenattraktion des Landes nach Schloss Schönbrunn auf.

Nötig sind die aufwendigen Inszenierungen oft auch, um von der Gleichförmigkeit der Waren abzulenken. In vielen Einkaufsstraßen Deutschlands bestimmen Filialisten wie Tchibo, Esprit, Douglas oder Pimkie bereits 90 Prozent des Angebots. Und auch im hochgelobten Las Vegas sind in jeder Mall dieselben Händler vertreten. „Deshalb müssen sich die Einkaufszentren differenzieren“, weiß ECE-Vorstand Striebich, „sie tun das über ihr jeweiliges Thema“ – das „Alte Rom“, „Venedig“ oder die „Karibik“.

Aber liegt darin auch eine Zukunft für den Einkauf in Deutschland? Werden Einkaufszentren von Paderborn bis Pirmasens bald mit Rummelplatz-Attraktionen für sich werben? „Eher nicht“, vermutet Christian Prill, Gesellschafter der Brandmeyer Markenberatung in Hamburg, „das würde hierzulande nur Sinn machen, wenn die Sehenswürdigkeiten eng mit dem Warenangebot verknüpft sind wie bei Globetrotter.“ In Las Vegas aber haben sich die Bilder von den Konsuminhalten abgelöst und die Einkaufszentren zu eigenständigen Reisezielen gemacht. Die Touristen kommen von weither angereist und verbringen dann ganze Tage in den Malls – als Kurzurlaub mit Dauer-Shoppen. CHRISTIAN TRÖSTER

 

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