Bauen mit Licht

By | 14. Mai 2018
Der Louvre von Abu Dhabi zeigt sich nach außen flach gewölbt, wie ein Schildkrötenpanzer. Doch die Kuppel mit einem Durchmesser von 180 Metern ist lichtdurchlässig. Darunter inszenierte Architekt Jean Nouvel einen grandiosen Raum, der von Lichtstrahlen und erhabener Schönheit geprägt ist.

Der Louvre von Abu Dhabi zeigt sich nach außen flach gewölbt, wie ein Schildkrötenpanzer. Doch die Kuppel mit einem Durchmesser von 180 Metern ist lichtdurchlässig. Darunter inszenierte Architekt Jean Nouvel einen grandiosen Raum, der von Lichtstrahlen und erhabener Schönheit geprägt ist.

A&W 2/2018  Tageslicht ist das Medium, zu dem sich jedes Bauwerk verhalten muss. Nur wenige Architekten verstehen damit meisterlich unzugehen – sie erschaffen Räume von mystischer Schönheit. 

Es ist eine Kuppel, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Kaum 36 Meter hoch aber mit 180 m Durchmesser wölbt sie sich schützend über eine Ansammlung weißer Gebäude, die mit ihrer Geometrie nicht durch Zufall an eine Medina, die arabische Altstadt, erinnern. Still schwappen die Wasser des arabischen Golfs an die Stufen dieses Ensembles und durch die Kuppel hindurch dringen einzelne Sonnenstrahlen – ein „Regen aus Licht“. So jedenfalls beschreibt es der Schöpfer des Ensembles, der Architekt Jean Nouvel, während sein Blick hinauf an die Wölbung des Domes wandert. Was er von der Wüste gelernt hätte, wird er gefragt. „Die Poesie, die Schönheit der Weite und des unendlichen Horizonts“, sagt er, „die Wahrnehmung von Sand, Wind und Licht“.

Unübersehbar ist der Louvre von Abu Dhabi eine Architektur nicht nur aus Stahl und Beton, sondern auch aus Licht und Schatten. Und weil Jean Nouvel deren Präsenz dramatisiert und inszeniert, macht der Bau das Selbstverständliche sichtbar: Tageslicht ist das Medium, zu dem jedes Gebäude sich verhalten muss – ohne Licht geht nichts in der Architektur. Was zunächst klingt wie eine Plattitüde, ist eine Wahrheit, die gern übersehen wird. Form, Funktion und Grundrisse von Gebäuden werden ausgiebig diskutiert, Kosten und Energieersparnis akribisch bewertet. Aber wann wird über das natürliche Licht gesprochen, das alle Gebäude umgibt, durchdringt und gestaltet?

Vielleicht braucht es Ausnahmefiguren wie den amerikanischen Pritzkerpreisträger Steven Holl, um dem Tageslicht seinen Platz in der Architektur zuzuweisen. “Wenn Leute mich fragen mit welchem Material ich am liebsten arbeite“, sagt er, „dann antworte ich: mit Licht! Die Arbeit mit Licht hat mich schon immer fasziniert“. Und Jean Nouvel, ebenfalls mit dem Pritzkerpreis ausgezeichnet, stellt fest: „Wenn ich eine Obsession hätte, dann wäre das Licht“. Und er erklärt dann sein neues Hauptwerk, den Louvre von Abu Dhabi: „In dem Museum ist das Licht durch die Schichten des Domes gefiltert“. Durch dessen Gitter fallen einzelne Lichtstrahlen, die sich als Punkte über Böden und Wände ergießen. Das alles, sagt der Architekt, „schafft einen dynamischen Zyklus. Der Schatten bewegt sich konstant entsprechend der Tages- und Jahreszeiten“. Das Museum ist auf diese Weise in die Natur eingebunden und überhöht sie zugleich zu einer erhabenen, kulturellen Aussage.

Damit setzt Jean Nouvel ein Zeichen, das nicht an der Tagesordnung ist. „Leider“, sagt die Lichtplanerin Ulrike Brandi, die kürzlich im benachbarten Doha gearbeitet hat, „wird Licht in vielen Fällen nur technisch bewertet“. Die Hamburgerin, die zu den Pionieren ihres Fachs gehört und Lichtkonzepte für von der Elbphilharmonie bis zur Rotterdamer Centraal Station realisiert hat, ist in ihrer Arbeit häufig mit starren Vorschriften zur Beleuchtung konfrontiert – es geht darin um Arbeitsplatzsicherheit, Verkehrswege, Gesundheit und Energie. Das alles sei wichtig, sagt die Planerin, „aber der gestalterische Aspekt wird dabei häufig übersehen.

Welche Bandbreite das architektonische Lichtdesign haben kann, hat ihre Kollegin Marilyne Andersen aufgezeichnet. Die Professorin an der Polytechnischen Hochschule in Lausanne hat das Tageslicht zwischen zwei Polen skaliert. Das eine Ende der Skala besteht demnach in direkter Sonneneinstrahlung bei klarem, blauem Himmel – ein Licht das harte Konturen schafft und die Energien der Menschen aktiviere. Am anderen Ende steht das diffuse Licht eines bedeckten Himmels. Es führt zu einer gedämpften Atmosphäre und beruhigt die Seele. Aus dieser Analyse leiten Andersen und ihre Kollegin Siobhan Rockcastle zehn architektonische Grundtypen ab: Von solchen mit präzisen und starken Schattenkontrasten in ihrem Inneren bis zu jenen, die ganz mit weichem, indirektem Licht arbeiten.

Besonders Steven Holl ist dafür bekannt, dass er gedämpftes und gefiltertes Licht einsetzt – er erhielt für seine sensible Arbeit den Daylight-Award der Velux-Foundation. Das jüngste Beispiel seiner Lichtarbeit ist das Maggie’s Centre in London, ein Beratungszentrum für Krebspatienten und deren Angehörige. Das Gebäude ist mit einer Fassade aus weiß mattiertem Glas versehen. Sie schirmt das Haus gegen die eng bebaute, historische Altstadt von London ab und lässt dennoch genug Tageslicht ein. Nur beim und neben dem Eingang gewährt das Gebäude Einblicke, im dritten Stock öffnet es sich mit einem geschwungenen Panoramafenster zu einer rückwärtigen Dachterrasse. Im Inneren sorgt die opake Fassade für sanftes Licht ohne harte Schatten und wenn Abends die Leuchten eingeschaltet werden, glimmt das ganze Gebäude sanft in seine Umgebung hinein. Farbige Elemente in der Fassade sowie von Innen durchscheinende Betonstützen gliedern die ansonsten einheitliche Fassade und verleihen ihre einen zarte Dynamik.

Dass man mit Tageslicht auch ganz anders und nicht weniger poetisch umgehen kann, zeigen Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa vom Tokioter Büro SANAA mit ihrem River Building. Mit seiner durchgängigen Transparenz ist es der größtmögliche Gegensatz zu der Verschlossenheit des Maggie’s Centre. Wie ein Fluss schlängelt es sich durch das Gelände der Grace Farm in New Canaan, CT und weitet sich an manchen Kurven wie zu kleinen Seen aus. Das Haus dient als Gemeindezentrum in dem Naturerlebnis, Erholung und gemeinschaftliches Erleben möglich werden soll. Sein durchgehendes Dach scheint zu schweben, ein Effekt, der durch feine Stützen und eine voll verglaste Fassade entsteht. Die Wände im Inneren sind weitgehend entmaterialisert und bestehen wo weit möglich ebenfalls aus Glas. Doch was da so leicht aussieht, ist energetisch schwer zu managen –schließlich sollte die Sonne das Gebäude nicht wie ein Gewächshaus aufheizen. Berechnet wurde das Energiekonzept für das River Building von der deutschen Firma Transsolar. Die Stuttgarter Ingenieure stellten fest, wie weit das Dach an welchen Positionen überstehen müsse, um angemessene Verschattung und gutes Licht zu erreichen. Sie berechneten die Thermik an den gekrümmten Scheiben, überprüften mehrere mögliche Heizungsvarianten und empfahlen schließlich ein Kunstlichtsystem, das über Sensoren auf das Umgebungslicht reagiert.

Traditionell wichtig ist der Umgang mit natürlichem Licht für sakrale Gebäude. Eine originelle und sehr zeitgenössische Lösung fanden die Architekten Ignacio Vicens und José Antonio Ramos in einem Vorort von Madrid. Dort haben sie die Ostseite der Kirche Santa Monica zu einer Art skulpturalen Explosion ausgearbeitet. Die expressiven Formen aus Corten-Stahl funktionieren nicht nur als urbanes Großzeichen, sondern filtern das Licht nach innen in irritierender Weise. Dort scheint das Licht aus sieben verschiedenen Richtungen zu kommen, ein Eindruck, der den Eigenschaften natürlichen Lichts substantiell widerspricht. Die Herkunft des Lichtes wird hier zugleich verschleiert und mystisch überhöht. Referenzpunkt dafür sind liturgische Aspekte des Kirchenbaus, die schon immer vorgeschrieben haben, dass die Gebetsrichtung Osten ist – ausgerichtet zum Sonnenaufgang, dessen Licht in der Theologie das Christuslicht meint. Bei Vicens und Ramos wird das alles mit geometrisch zurückgenommener Formensprache umgesetzt und erreicht dennoch einen Eindruck theatralischer Mystik. Die Inspiration dafür, so sagen es die Architekten, bezogen sie von der römischen Kirche San Carlo alle Quattro Fontane, einem Meisterwerk des Barock, das mit irritierend vibrierenden Raumformationen arbeitet. Dass kunstvolle Lichtführung jedoch alles andere als eine Erfindung der westlichen Kultur ist, weiß kaum einer besser als Jean Nouvel. Schon mit seinem meisterlichen Frühwerk, dem Institute du Monde Arabe in Paris, hatte Nouvel sich 1987 von der arabisch-muslimischen Architektur inspirieren lassen. Mit dem Museum der Weltkunst im Emirat kehrt Nouvel an diese seine Wurzeln zurück. In der arabischen Kultur, erläutert er, sei es ganz alltäglich, gefiltertes und gebrochenes Licht zu erleben. „Ich wollte“, bekennt er, „keine typisch westliche Museumsatmosphäre mit weißen Wänden und weißen Sockeln“. Und schließt dann: „Es ist nicht nur ein funktionales Gebäude. Es hat eine symbolische und sogar eine spirituelle Bedeutung“, – und die verdankt es vor allem dem Licht.