Der Siegeszug der Plastiktruhen

By | 3. April 2018

FASMutterSchränkeFAZ 28.3.2017 Die Truhe des 21. Jahrhunderts heißt „Aufbewahrungsbox“. Sie hat einiges mit der Handtasche gemein.

Die Truhe ist ein archaisches Möbelstück. Über Jahrhunderte haben Menschen darin ihre Habseligkeiten verstaut, und ihr Name ruft etwas Schweres, Dunkles und Geheimnisvolles wach. Als Schatztruhe geistert sie durch Romane und Filme, als Omas Truhe erinnert sie uns an Zeiten, in denen Bettwäsche noch kostbar war und die Aussteuer eine Säule des Eheversprechens. Doch dann war sie irgendwann verschwunden, die Truhe, so wie Mieder und Korsett, Piraten und Schatzinseln. Aber vielleicht haben wir einfach nicht so genau hingeschaut. Die Mutter aller Schränke lebt, und sie erfährt gerade eine Auferstehung, die so unwahrscheinlich erscheint wie die Wiederkehr des Rasiermessers im Friseursalon.
Die Truhe von heute heißt „Aufbewahrungsbox“, ist aus Plastik und unter dem Namen Samla ein Dauerseller bei Ikea. Auch in sogenannten Euromärkten haben die Plastikbehälter einen prominenten, allerdings namenlosen Platz. Für wenige Euro bekommt man staubsicheren Stauraum und ein vages Versprechen von Ordnung. Doch dazu später mehr.
Zunächst einmal halten wir fest, dass die Plastiktruhe ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis aufweist, was allein schon vermuten lässt, dass sie – falls nicht schon geschehen – einen Siegeszug um die Welt antreten wird. Sie ist gut für einkommensschwache Menschen, die ein preiswertes Behältnis suchen, aber auch für wohlhabende Menschen die im Überfluss leben und viel zu verstauen haben.
Mit dieser universellen Nützlichkeit ist die Aufbewahrungsbox das Pendant zum Monobloc, dem Stapelstuhl aus Plastik, der in den Slums der dritten Welt so verbreitet ist wie in deutschen Kleingärten und Imbissbuden. Nur dass die Box einen privateren, weniger exponierten Platz im Leben einnimmt. Hier lebt das Motiv des Verbergens weiter – was mag wohl in der Truhe versteckt sein? Doch die Truhe des 21. Jahrhundert ist zugleich eine ohne Geheimnis, sie offenbart ihren Inhalt durch ihr Material.
Es wäre fahrlässig, ihren Erfolg nur darauf zurückzuführen, dass sie durchsichtig, billig, unprätentiös und stapelbar ist. Gewiss kann sie diese Attribute selbstbewusst vorzeigen, aber ihr Versprechen ist noch ein anderes: die Verheißung von Ordnung. Ikea gibt an, dass die Boxen vor allem dafür verwendet werden, Sommer- beziehungsweise Winterkleidung geruchssicher und mottendicht zu verstauen.
Der Anbieter Clas Ohlson wirbt eher damit, dass in ihr Werkzeuge und Büromaterialien verstaut werden. In beiden Fällen ist die Aufbewahrungsbox ein Instrument der Überflussgesellschaft, die gar nicht mehr weiß, wohin mit ihrem Plunder. Bohrmaschinen, die vor der Verschrottung nur fünfmal benutzt werden – in Plastikboxen sind sie gut verstaut und finden sich dort neben dem Ananasschneider, Inbusschlüsseln, Kabeln unklarer Zuordnung, abgelaufenen Pässen und kaputten Elektrogeräten.
Professionelle Ordnungsmanager empfehlen zwar zur Entrümpelung drei Boxen in den Kategorien „Reparieren“, „Verschenken“ und „Wegwerfen“, doch der Kampf gegen die Kategorie „Aufbewahren“ ist eines Sisyphos würdig. 10 000 Gegenstände soll jeder deutsche Haushalt besitzen. Womit wir bei der Erkenntnis angelangt sind, dass die Plastikbox nicht nur ein Seelenverwandter des Monoblocs ist, sondern auch der Damenhandtasche – ein geheimnisvoller Fundus von Vorsorge vor Eventualitäten und aufgeschobenen Entscheidungen. Überträgt man das Prinzip Handtasche auf die Plastikbox, füllt man einfach alles in eine einzige Kiste. Da weiß man wenigstens, wo man zu suchen hat.

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