Lizenz zum Plündern

By | 16. Oktober 2013

 

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Der Spiegel, 20.4.1998

Schmuggel von wertvollen Gemälden, Schummeleien mit Herkunftsnachweisen: Gleich mehrere Fachleute erheben schwere Vorwürfe gegen das Auktionshaus Sotheby’s.

Von Christian Tröster

Die Ankündigung der Auktion bot Stoff für ein Märchen: Da hatte ein Sohn auf dem Dachboden seiner verstorbenen Mutter, so hieß es, einen Karton mit 234 Fotos gefunden. Als er die historischen Bilder dem Auktionshaus Sotheby“s vorlegte, jubelte dessen Experte Philippe Garner: „So eine Entdeckung macht man in seiner Karriere nur einmal.“ Und der Kölner Kunsthistoriker Herbert Molderings befand angesichts der Werke von Otto Umbehr, Edward Weston, El Lissitzky und anderen: „Ein Monument deutscher Kunst- und Fotogeschichte.“

Doch wer bloß hatte diesen Wunderfund zusammengetragen? Schon vor der Auktion – die Bilder erbrachten sechs Millionen Mark – wurden Zweifel laut an der Legende, eine Sammlerin namens Helene Anderson habe die Kunstwerke erworben. Inzwischen gilt als erwiesen: Die Kollektion war von der Leiterin eines Altenheims und ihrem Ehemann geliefert worden. Selbst Sotheby“s bezweifelt inzwischen, daß die beiden rechtmäßige Besitzer der Bilder waren, und entschuldigte sich bei den Käufern für die „unvorhergesehenen Ereignisse“. Die Papiere, die Molderings damals vorlegte, hätten nicht ausgereicht, um ein so großes Ereignis kurzfristig abzusagen. Kunden aus aller Welt waren bereits angereist.

Doch war der Fall der „Helene Anderson Collection“ tatsächlich nur eine peinliche Panne – oder hat man im Auktionshaus allzu großzügig über Ungereimtheiten hinweggesehen? Molderings jedenfalls glaubt heute: „Sotheby“s ist direkt involviert in die Fälschung der Provenienz. Man stellt den Einlieferern keine Fragen, weil man ahnt, daß etwas faul ist.“

Die Vermutung des Fotohistorikers und ehemaligen Leiters des Westfälischen Kunstvereins in Münster fügt sich in das finstere Bild, das ein neues Buch von dem weltweit operierenden Auktionskonzern zeichnet. Zynismus und Schiebereien, so unterstellt der Autor Robert Lacey, seien bei Sotheby“s Geschäftsprinzip*.

Offenbar können die Auktionshändler dabei auf den ehrbaren Namen ihres Hauses vertrauen. Auch im Fall der Anderson-Fotosammlung sorgten erst Herbert Molderings akribische Recherchen für einen Eklat. Mißtrauisch wurde der Fachmann, weil Sotheby“s kein einziges historisches Dokument über die Herkunft der Bilder vorlegen konnte. In Archiven fand er mehrere Briefe, die belegten, daß der Zwickauer Museumsdirektor Hildebrand Gurlitt von 1929 bis 1932 die „Anderson“-Bilder erworben hatte. War die Anderson- Collection also aus einem deutschen Museum entwendet worden? Handelte es sich um Beutekunst, oder waren die Werke über die Schalck-Golodkowski-Connection verscherbelt worden?

* Robert Lacey: „Sotheby“s – Bidding for Class“. Little, Brown & Co.; 20 Pfund.

Noch vor der Auktion machte Molderings seine Zweifel in der „Frankfurter Allgemeinen“ öffentlich, doch Sotheby“s reagierte nur mit britischem Charme: „Very fascinating“ sei die Behauptung, verkündete Philippe Garner. „In meiner Naivität dachte ich, daß das Auktionshaus die Versteigerung verschieben würde, um Zeit für weitere Prüfungen zu lassen“, sagt Molderings, „aber die haben meine Bedenken einfach zu ihren Gunsten umgemünzt. Immerhin hatte ich ja erstmals Dokumente aus den zwanziger Jahren vorgelegt.“

Molderings forschte weiter – und stieß bald auf eine Helene Anderson aus Frankfurt. Doch mit den Fotos hatte sie nichts zu tun. Die stammten aus dem Nachlaß einer Hildegard Kirchbach. Die alte Dame starb 1995 im Baseler Altenheim „Sanapark“.

Als Einlieferer für die Auktion wurde nun Hans-Joachim Burdack bekannt, dessen Frau Angelica das Altenheim leitet. Das Ehepaar behauptet jetzt, die Verstorbene hätte ihr die Bilder aus Dankbarkeit geschenkt. Weil Frau Kirchbach ausdrücklich gewünscht habe, daß ihr Name nicht im Zusammenhang mit den Fotos genannt werde, habe Burdack sich eben die Geschichte mit dem Dachboden ausgedacht.

Für Sotheby“s ist die Affäre auch deshalb peinlich, weil das Haus gerade erst eine teure Image-Politur hinter sich gebracht hat. Elf Millionen Dollar investierten die Händler, um mit einer hausinternen Untersuchung durch zwei noble Anwaltsfirmen den Vorwürfen des Journalisten Peter Watson zu begegnen: Der hatte das Auktionshaus 1996 überführt, ein Altmeistergemälde aus Italien geschmuggelt zu haben, und mit Dokumenten belegt, daß es sich hierbei um eine Routineangelegenheit für die Kunstexperten handelte.

Obwohl man nie wissentlich Schmuggelware verkauft habe, so hieß es im Bericht der Anwaltskommission, wolle man künftig nicht nur die englischen und amerikanischen Importbestimmungen, sondern auch strikt die Gesetze der Exportländer beachten. Im übrigen sei die illegale Ausfuhr aus Italien ein Einzelfall. Als Zeichen einer neuen „Transparenz“ veröffentlichte das Londoner Auktionshaus zudem eine Art Ethik-Leitfaden, nach dem sich die Mitarbeiter von nun an richten müßten.

Molderings ist von einer echten Läuterung allerdings wenig überzeugt. „Warum lassen Sie zu“, fragte er den Fotoexperten Garner vor der Auktion der angeblichen Anderson-Bilder, „daß eine solch herausragende Sammlung unter falschem Namen in die Geschichte eingeht?“

Die Direktheit der Antwort verblüffte den Forscher: „Erstens wollen wir nicht, daß Händler auf die Einlieferer zutreten. Zweitens wollen wir verhindern, daß die deutsche Regierung von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch macht.“ Zwar gibt es ein solches Recht in Deutschland nicht, wohl aber die Möglichkeit, Kunstwerke zu schützenswertem Kulturgut zu erklären und damit die Ausfuhr zu unterbinden.

Für Robert Lacey hat derlei Virtuosität bei Sotheby“s Tradition. Besonders schlimm trieb es nach seinen Recherchen Peter Wilson, Chef des Hauses von 1958 bis 1980. Der Mann, der als Träger bei Sotheby“s angefangen hatte und binnen zwei Jahren zum Direktor aufstieg, gilt als eines der Vorbilder für die Figur des James Bond. Wilson hatte im Krieg für den britischen Geheimdienst MI6 gearbeitet, dort die Nummer 007 getragen und war mit dem James-Bond-Autor Ian Fleming befreundet. Später stellte er seinem Haus offenbar eine Art Lizenz zum Plündern aus. „Plünderung“, schreibt Lacey über den Sotheby“s-Chef, „gehörte zum täglichen Geschäft, und Schmuggel war der Modus vivendi.“

Unter Wilson akzeptierte das Auktionshaus Einlieferungen aus illegalen archäologischen Grabungen. Unter Wilson lernten die Gemäldeexperten, daß es in Südafrika und Argentinien keinen Markt für Bilder gab, die nicht in einen Koffer paßten. Zuweilen wurden Impressionisten sogar eingerollt als Handgepäck transportiert. Für die Bezahlung derartiger Transaktionen unterhielt das Auktionshaus ein Nummernkonto in der Schweiz. Für private Geschäfte gründete Wilson mehrere Briefkastenfirmen und TreuhandGesellschaften.

Auch das Vertrauen seiner Geschäftspartner nutzte er offenbar gern aus. Der hörbar betrunkenen Kaufhaus-Erbin Barbara Hutton schwatzte er am Telefon überhöhte Millionengebote ab. Andere, die glaubten, mit ihm befreundet zu sein, stellten ein Abkühlen der Beziehungen fest, sobald sie ihre Schätze zur Auktion gegeben hatten. „Vorher“, so Wilson gegenüber Kollegen, „sind sie eben interessanter.“

Auch die Gutgläubigkeit der Käufer, so scheint es, mißbrauchte Wilson wiederholt. Wenn ein schriftliches Gebot für ein Objekt vorlag, steigerte er nicht, wie es seine Pflicht als Auktionator gewesen wäre, im Auftrag des Bieters, sondern setzte vielmehr den Mindestpreis nachträglich hinauf, so daß selbst ohne Gegengebot aus dem Saal der Käufer sein schriftliches Gebot voll ausreizen mußte.

Der Geist von Peter Wilson, so Lacey, präge das Haus Sotheby“s bis heute. „Laceys Beurteilung von Peter Wilson teilen wir nicht“, kontert eine Unternehmenssprecherin. Schließlich sei Wilson vor fast 20 Jahren bei Sotheby“s ausgeschieden, 80 Prozent der Mitarbeiter hätten den Mann nicht mal kennengelernt. Moralisches Bewußtsein sei heute ein wichtiger Unternehmensgrundsatz. Dabei bemüht sich das Unternehmen derzeit um die Vermarktung seines ramponierten Namens – als Signet für Luxusartikel. Zwar war in den siebziger Jahren die Einführung einer Sotheby“s-Zigarette kläglich gescheitert; doch nun sind optimistisch weitere Namens-Lizensierungen geplant. In London kann man bereits Sotheby“s-Champagner schlürfen, und in New York lockt ein nobles Sotheby“s Café.

Aber auch im Kerngeschäft sollen neue Märkte erschlossen werden. In den siebziger Jahren begann die Firma, mit Luxus-Immobilien zu handeln. In den letzten Jahren übernahm Sotheby“s in New York die renommierte Galerie André Emmerich und beteiligte sich bei Jeffrey Deitch.

Dazu kommt Umsatz mit allerlei „Collectibles“ – vom Teddybären bis zum Mondfahrzeug. Mit viel Geschick wird auch bei Haushaltsauflösungen aus mediokrer Ware Geld gemacht. Der Nachlaß des Herzogs und der Herzogin von Windsor erbrachte im vergangenen Februar 23,4 Millionen Dollar, der von Jacqueline Kennedy Onassis 34,5 Millionen. Hier wurden für ein paar alte Tassen (Katalogbeschreibung: „teils geflickt und angeschlagen“) 8050 Dollar, für eine falsche Perlenkette 211 500 Dollar bezahlt.

Ein Teil solcher Preise mag auf den Starkult um die frühere First Lady zurückzuführen sein. Einige Verkaufserfolge aber resultieren wohl aus raffinierten Verkäufertricks. So arrangierten die Experten elf winzige Diamanten, von denen nicht einmal bekannt ist, ob die Besitzerin von deren Existenz überhaupt wußte, in Form eines „J“ auf schimmerndem, schwarzem Samt. Dann plazierten sie die Steine im Wert von 50 Dollar pro Stück als Los Nummer 441 zwischen einen Van-Cleef-&-Arpels-Ring und eine Halskette aus demselben teuren Juwelier-Haus. Beide Stücke hatte Onassis seiner Gattin zum Geschenk gemacht. Die winzigen Steine fanden in diesem Umfeld leicht für 17 250 Dollar einen beeindruckten Käufer.

Weniger erfreulich laufen die Sotheby“s-Geschäfte in der Anderson/Kirchbach-Affäre. Inzwischen sind mehrere Testamente aufgetaucht. Die Frau des Einlieferers, Angelica Burdack, der laut Anstellungsvertrag die Annahme geldwerter Geschenke von Patienten untersagt ist, wird in keinem davon erwähnt.

Jetzt streiten ein Zürcher Anwalt und das Kunstmuseum Basel um das Erbe. Und Molderings forscht nach weiteren 300 Fotos, die einst zur Kirchbach-Sammlung gehörten – sie sind schlicht verschwunden.

* Robert Lacey: „Sotheby“s – Bidding for Class“. Little, Brown & Co.; 20 Pfund.

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