NEXT. So leben wir morgen (Hrsg: RWE) , Heft 2/2013
Von Möbeln bis zu menschlichen Organen – das Drucken von dreidimensionalen Objekten setzt sich immer mehr durch. Die neue Technologie verspricht spektakuläre Ergebnisse.
von Christian Tröster
Die Zukunft schmeckt süß und sieht aus wie eine Torte. Wer die Kuchen aus dem Sugar Lab in Los Angeles probiert, hat ein Stück Hightech im Mund: Deren Ornamente und Verzierungen aus Zucker sehen aus wie moderne Architektur. Sie kommen nicht aus der Konditorspritze und wurden auch nicht von Hand geformt, sie sind am Computer entworfen und mit einem 3D-Drucker produziert – aus der Düse frisch auf den Tisch.
Ob’s schmeckt? Ganz gewiss, die Leckereien aus der Hightech-Backstube sind bei den Schönen und Reichen von Hollywood heiß begehrt. Doch über den Glamour-Faktor hinaus werfen sie die Frage auf: Drucken in 3D, geht das überhaupt? Und ob. 3D-Drucker arbeiten im Prinzip wie Tintenstrahldrucker. Bloß tragen sie mit ihren Düsen nicht Farbe sondern Materialien auf, Punkt für Punkt, Schicht für Schicht, bis eine Zahnprothese, eine Tortenverzierung oder ein Maschinenteil entstanden ist. Das Verfahren ist ausgereift, funktioniert in der Industrie problemlos und dringt nun – das zeigt das Beispiel der Hochzeitstorten – ins tägliche Leben ein. Mit 3D-Druckern werden Textilien, Fahrräder oder Lampenschirme produziert, ganze Häuser oder künstliche Körperteile für den Einsatz in der Medizin. Die Maschienen arbeiten mit so unterschiedlichen Materialien wie Plastik, Metall, Gummi oder Zement und stehen in Architekturbüros, Designstudios und Maschinenfabriken. Sogar die Kölner Stadtbibliothek hat einen. Im Februar präsentierte sie das Gerät, an dem sich ambitionierte Hobbybastler ihre Modelle ausdrucken lassen können. Bald, so prophezeien es Fachleute, werden die Wundermaschinen auch in vielen Privathaushalten zu finden sein, so wie heute schon Computer, Scanner oder gewöhnliche Farbdrucker. Glaubt man den Experten, bedeutet das nicht weniger, als noch eine, schon wieder eine industrielle Revolution. „3D-Druck“, verkündet vollmundig der amerikanische Technik-Guru Chris Anderson, „wird bedeutender als das Internet.“ Und sein Kollege Neil Gershenfeld vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston ist sicher: „Die 3D-Drucktechnik wird nicht nur die Machtverhältnisse in der industriellen Fertigung neu ordnen, sondern die Wirtschaftswelt als Ganzes erschüttern.“
Tatsächlich wird mit den Druckern ein Trend fortgesetzt, der schon in der heutigen Industrie angelegt ist, der Trend zu immer individuelleren Produkten. Einzelfertigung und Kleinserien sind die größten Vorteile der neuen Technologie. Ist etwa ein Brillenbügel zerbrochen, scannt man ihn ein (zum -Beispiel mit der kostenlosen App 123D Catch im iPhone) und druckt ihn neu aus. Braucht man nach einem Armbruch einen Stützverband, scannt man den Körper und druckt dazu passend eine Stütze aus Plastik aus. Die ist leichter, abwaschbar und hygienischer als der traditionelle Gipsverband. Die Drucker ermöglichen zudem die Herstellung von Formen, die so mit keinem anderen Verfahren machbar sind: Hohlkörper und dreidimensionale Gitter- oder Stützstrukturen. Auf diese Weise können zum Beispiel Flugzeugteile gebaut werden, die im Inneren poröse Strukturen aufweisen, ähnlich wie Vogelknochen. Sie sind dadurch leichter als herkömmliche Massivteile aber genauso stabil. Beim Hersteller EADS (Airbus) sind solche Bauteile bereits im Einsatz.
Befinden sich 3D-Drucker einmal in jedem Bastelkeller – einfache Geräte sind bereits ab 1000 Euro erhältlich – könnte das die Abläufe der westlichen Industriegesellschaften tatsächlich verändern. Der Konsument kauft dann keine Produkte mehr, sondern Datensätze – und druckt sich damit, was er braucht. Es gibt bereits Kaufhäuser im Internet, die genau dies anbieten, etwa die Plattformen Thingiverse in den USA oder MakeMe des niederländischen Designers Joris Laarman. Würde solches Einkaufsverhalten zur Massenbewegung, wären Hersteller davon ebenso betroffen wie Handel und Logistik. Und die Anwälte hätten reichlich Gelegenheit über das Copyright am Design zu streiten. So wie heute Musikstücke, könnten dann Designdaten für Sonnenbrillen oder Schuhe über Tauschbörsen im Netz legal oder illegal verbreitet werden.
Davor steht noch, dass die 3D-Drucker
zwar preiswert, aber noch nicht einfach zu bedienen sind. Und sie sind langsam. Selbst einfache Objekte zu produzieren dauert Stunden, für ein komplexes Teil braucht man Tage. So sind es derzeit vor allem Spezialisten und Avantgardisten, die die Möglichkeiten des neuen Verfahrens ausloten.
Ganz vorne mit dabei ist die niederländische Modedesignerin Iris van Herpen. Zusammen mit Architekten und Wissenschaftlern entwirft sie Kollektionen, die nur mithilfe von 3D-Druckern herzustellen sind – es ist Mode, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Da sind nahtlose Silkonkleider, Jacken, die aussehen wie aus Schläuchen gewunden oder Plexiglas-Krägen, die wirken als wäre da grad ein Wassertropfen beim Aufprall in der Bewegung eingefroren. Gedruckt werden die Kleider bei der belgischen Firma Materialise. Solche Spezialanbieter ermöglichen auch die Produktion von Objekten, die anders kaum Marktchancen hätten. So entwarfen die New Yorker Designer Tom Gerhardt und Dan Provost einen iPhone-Halter namens Glif, mit dem man das Smartphone auf ein Stativ schrauben und als Kamera benutzen kann. Als Erstauflage druckten sie nur 500 Stück und sparten sich damit das Investment in teure Gussformen. Erst als die Nachfrage größer wurde, stellten die Gründer auf traditionelle Serienproduktion um. Ihr Beispiel zeigt auch, dass 3D-Druck andere Produktionsverfahren nicht ablösen, sondern zunächst eine immer größere Nische einnehmen wird.
Zu den spektakulärsten Anwendungen gehört derzeit der medizinische Bereich. So wurde einem Kind in Columbus, Ohio, eine künstliche Luftröhre eingesetzt, die aus biologisch abbaubarem Material gedruckt worden war. Forscher an der amerikanischen Cornell University entwickelten sogar ein Verfahren, menschliche Knorpel herzustellen. Mit einer Bio-Tinte, die menschliche Stammzellen enthält können sie etwa die Struktur eines Ohres ausdrucken. Nach zwei Monaten in einem Inkubator füllen die Stammzellen die vorgedruckte Struktur aus und das Organ kann transplantiert werden.
Am fernen Horizont, so diskutieren es Wissenschaftler, erscheinen noch ganz andere Visionen. Was wäre eigentlich, so fragen sie, wenn Maschinen Maschinen drucken, die Maschinen drucken? Es wäre ein Designprozess, in dem der Mensch nur noch die Bedingungen, nicht aber das Endergebnis bestimmt. Es wäre der Beginn einer eigenen, maschinellen Evolution und wahrhaftig noch eine, schon wieder eine industrielle Revolution.