„Kulturbauten sind für Städte lebenswichtig“

By | 21. Oktober 2013

sauerbruch_awArchitektur & Wohnen 3/13

Interview mit Matthias Sauerbruch. Der Architekt kuratiert in Berlin die Ausstellung „Kultur: Stadt“ und setzt sich mit dem Einfluss spektakulärer Architektur auf die Stadtentwicklung auseinander.

A&W: Kulturbauten geben Metropolen Glanz, stehen aber auch unter dem Verdacht von Geldverschwendung und Inkompetenz, wie derzeit die Hamburger Elbphilharmonie. Welche Haltung nimmt ihre Ausstellung zu solchen Phänomenen ein?

Matthias Sauerbruch: Wir zeigen ein breiteres Bild, über fünf Jahrzehnte hinweg. In der Ausstellung ist auch das Sydney Opera House von Jörn Utzon zu sehen. Das wurde in Sydney anfangs mit größtem Misstrauen beäugt. Das ging soweit, dass der Architekt das Handtuch geworfen hat. Er wurde so stark angegriffen, dass er sich fast aus dem Beruf zurückgezogen hat. Trotzdem ist die Oper am Ende ein Riesen-Erfolg geworden. Ich könnte mir vorstellen, dass es mit der Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron genauso sein wird.

Also ein Plädoyer für den Bilbao-Effekt, also die Idee, dass spektakuläre Bauten so viele Touristen anziehen, dass die Architektur am Ende mehr einbringt als sie kostet?

So einfach ist es leider auch nicht. In Bilbao selbst hat es funktioniert, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Beatriz Plaza von der Baskischen Universität Bilbao nachweisen konnte: Die Region hat davon profitiert. Aber der Bilbao-Effekt ist ja eine Wette auf die Zukunft und das kann auch danebengehen. Wir zeigen etwa die Cidade da Cultura in Santiago de Compostela von Eisenman Architects. Die wird wahrscheinlich nicht fertig und ist für die Kommune zu einer großen Belastung geworden. Völlig intransparent ist auch die Entscheidung für das Opernhaus von Gouangzhou von Zaha Hadid. Es kommt einem vor wie ein Raumschiff. Eine spektakuläre Architektur mit tollen Räumen. Aber was ein westliches Opernhaus in der chinesischen Stadt Guangzhou verloren hat, ist schwer nachzuvollziehen. Vielleicht findet es einmal eine Verwurzelung, irgendwie.

Sie präsentieren in der Ausstellung Kulturbauten aus den letzten fünfzig Jahren. Was für eine Entwicklung ist da erkennbar? Was haben die Städte gelernt?

Der Rundgang beginnt mit dem Kulturforum in Berlin. Das war die Idee einer Akropolis für die automobile Stadt. Es folgen demokratische Versuche wie das Centre Pompidou und das Kulturhuset in Stockholm.  Dann die „neuen Ikonen“ wie das Guggenheim Museum in Bilbao. Schließlich haben wir Projekte, die sich stärker mit Bestandsbauten auseinandersetzen, wie das Kulturzentrum SESC Fabrica da Pompeía in Sao Paolo von Lina Bo Bardi oder die Zeche Zollverein im Ruhrgebiet. Da sind Lernprozesse sichtbar: Statt alles neu denken zu wollen etwas umdenken zu können. Das ist ein Zukunftsthema, weil wir ja mit dem Bestand umgehen und nicht in jedem Fall neu bauen müssen.

Großen Prestige-Projekten stellen Sie lokale Interventionen gegenüber. Also kleinere Initiativen, die von unten kommen. Ist das ein zeitgemäßeres Modell als pompöse Großbauten?  

Es ist zumindest ein Gegenmodell. Für die sogenannte Weltausstellung auf dem ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof wurden temporär 15 Pavillons für Kunst und Performances errichtet. Bei Detroit Soup, einem erfolgreichen Micro-Funding-Projekt für kulturelle Interventionen in Detroit muss man schon einen stark erweiterten Architekturbegriff bemühen, um überhaupt von Architektur zu sprechen. Aber solche Ansätze funktionieren und zeigen auch Wirkung auf die Stadt.

Es gab mal von dem Stadtplaner Richard Florida so einen Satz, der zur Gegenkultur sagte: Wenn ein Lesbencafe in deiner Straße eröffnet, kannst du davon ausgehen, dass bald die Immobilienpreise steigen. Haben kulturelle Initiativen einen ähnlichen Aspekt, als Vorboten der Gentrifizerung?

Das ist die Perspektive des Immobilienmarktes, der die Dinge allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Uns interessiert eine Kultur des gemeinsamen Erlebens und die Veränderung des öffentlichen Raumes unter dem Einfluss des Internets. Das Öffentliche ist zunehmend bedroht. In kulturellen Institutionen aber kann ohne kommerziellen Druck ein Austausch zustande kommen.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Ein ganzes Kapitel haben wir den neuen Bibliotheken gewidmet, oft spektakuläre Bauten, wie die Seattle Central Library von Rem Koolhaas/OMA. Da kann man natürlich Bücher und Medien ausleihen, aber wie in einigen anderen Städten auch ist die Bibliothek hier zum attraktiven Anlaufpunkt geworden, eine Mischung aus Szenetreff und ausgelagertem Wohnzimmer. Da ist vieles möglich, eine erstaunliche Renaissance. Aber auch Bauwerke wie das Pariser Centre Pompidou funktionieren immer noch sehr eindrucksvoll – selbst wenn dort heute die untere Etage lange nicht mehr so frei zugänglich ist wie einst bei der Eröffnung.

Wäre es nicht auch möglich, die Kultur zu den Menschen zu bringen, statt umgekehrt?

Dafür steht das Centre Pompidou Mobile von Patrick Bouchain. Die Architektur wird beweglich, das Museum wandert mit Zelten in Kleinstädte und sogar auf die Dörfer. Da hängen dann die Originale aus Paris. Das berührt die Menschen und ist ein Riesenerfolg.

Ist das ein Trend der Zeit, dass es eher darum geht Menschen zusammenzuführen als glamouröse Tempel der Hochkultur zu errichten?

Das muss kein Gegensatz sein. Man kann mit exzeptioneller Architektur in der Stadt Räume definieren, die gut angenommen werden. Aktuell leistet das Metropol Parasol von Jürgen Mayer H. in Sevilla so etwas. Das sind spektakuläre, futuristische Holzschirme. Ein mutiges Projekt mitten in einer historischen Stadtstruktur. Das passt auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammen und ist entsprechend umstritten. Aber es hat einen Kristallisationspunkt für die Öffentlichkeit geschaffen. Alle Demonstrationen in Sevilla finden genau dort statt. Das ist ein Erfolg der Architektur.

Ist die Zeit der großen Ikonen, des Bilbao-Effektes, engültig vorbei?

Es ist der heutigen Zeit geschuldet, dass das Geld nicht mehr da ist für große Investitionen. Ich nehme also an, dass bescheidenere Ansätze in den nächsten Jahren eine größere Rolle spielen werden. Großartige Kulturbauten, die die Menschen zusammenbringen, wird es weiterhin geben. Das hat für Städte eine überlebenswichtige Qualität.

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