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Voilà – Deutsch-französisches Design

D-F_DesignGalleria Messe Frankfurt Magazin 1/2013

1963 trafen sich Adenauer und de Gaulle, um zwischen ihren Ländern die alte Feindschaft zu begraben und das Gespräch zu eröffnen. Dieser Geist wirkt noch heute – auch im Design.

von Christian Tröster

Er war eine Ikone deutschen Designs: Der Mercedes „/8“ , gesprochen Strich-Acht. Er wurde mehr verkauft als alle anderen Daimler Modelle der Nachkriegszeit zusammen, prägte das Bilder der westdeutschen Straßen in den Siebzigern und wurde zum Inbegriff deutschen Designs weltweit. Nur, den Strich-Achter hatte ein Franzose entworfen. Der hieß Paul Bracq, hatte als junger Mann bei Citroen gearbeitet und war 1957 nach Sindelfingen gewechselt. „Bracq brachte“, so Klaus Klemp vom Museum für angewandte Kunst in Frankfurt, „französische Eleganz ins deutsche Autodesign“. Neben dem „/8“ gestaltete er auch den Mercedes 600 und den sogenannten Pagoden-SL: legendäres Design und das Ergebnis deutsch-französischer Kooperation.

Die Arbeit des Designers, der später auch noch für Peugeot und BMW arbeiten sollte, ist vielleicht der schönste Beweis dafür, dass der Élysée-Vertrag von 1963 mehr war als ein folgenloser Akt von Bürokraten. Er war der Meilenstein eines wachsenden Austausches und Zeichen immer dichter werdender Beziehungen. Und, das natürlich auch, ein politisches Wunder nach drei erbittert geführten Kriegen.

Heute, am fünfzigsten Jahrestag des Élysée-Abkommens, arbeiten deutsche und französische Designer so selbstverständlich für Firmen des Nachbarlandes, als wäre es nie anders gewesen. Dafür steht nicht nur Karl Lagerfeld, der zum Monument deutsch-französischer Inspiration geworden ist, sondern auch zahlreiche bekannte und unbekannte Designer im Alltag. So hat Torsten Neeland Objekte für das Pariser Designlabel Mouvements Modernes entworfen, Michael König eine Uhr für Ligne Roset und Mathias Hahn eine Lampe für den gleichen Hersteller. Im Gegenzug arbeiten aus Frankreich Patrick Nadeau und Jean-Marie Massaud für die deutsche Haushaltswarenmarke Authentics, Christophe de la Fontaine entwarf für Rosenthal das Service „Format“, bei Vitra sind Produkte der Gebrüder Bouroullec im Programm. So intensiv ist der Austausch geworden, dass darüber die nationalen Traditionen zu verschwimmen drohen, nicht nur zwischen den beiden Nachbarländern. Schließlich leben viele der genannten Designer in Mailand oder London und produzieren auch für Auftraggeber in China und den USA. Gibt es also in einer globalisierten Wirtschaft noch ein deutsches und französisches Design?

Ganz gewiss, findet Klaus Klemp. Der Kunsthistoriker hat gerade eine Ausstellung über Haushaltsgeräte französischer Designerinnen im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst organisiert und sagt: „In Frankreich sind die Wohnungen ein wenig anders eingerichtet als bei uns, da gibt es noch viel mehr Dekorationen. Da lebt noch das Barock und eine katholische Tradition. Es gibt eine Freude an Farben, Formen und auch ein Bewußtsein für Vergänglichkeit. Bis heute kommen viele große französische Gestalter vom Interior-Design. Philippe Starck hat zuerst Hotels eingerichtet.“ Das deutsche Design dagegen sieht Klemp eher vom Protestantismus geprägt: „Da will man Dinge auf ihre Grundformen zurückführen und etwas für immer und ewig erfinden“. Dieser Einschätzung stimmt auch Olivia Putman zu. Die Designerin, Tochter und Nachfolgerin der großen Andrée Putman, kuratiert auf der Ambiente 2013 eine Schau über aktuelles Design aus ihrer Heimat und sagt: „Viele französische Designer verbinden das Können von Kunsthandwerkern mit der Kreativität modernen Designs. Das erlaubt eine Vielzahl von Oberflächen und führt zu einem breiten Ausdrucksspektrum“. Das deutsche Design sieht sie ganz anders positioniert: „Es steht für Genauigkeit und Qualität“, historisch in Positionen von Peter Behrens, Mies van der Rohe und Dieter Rams: „Ich liebe die Intelligenz ihrer Arbeiten. Sie schaffen eine Balance zwischen Effizienz, Schönheit und Funktionalität“.

Putmans Verweis auf die Vorkriegsmoderne zeigt auch, dass es bereits lange vor dem Élysée-Vertrag einen wechselseitige Inspiration gab – trotz der Feindschaft beider Länder auf politischer Ebene. Le Corbusier hatte 1910 bei Peter Behrens ins Berlin hospitiert und dort auch Walter Gropius und Mies van der Rohe kennengelernt. Der Austausch zwischen ihnen fand seinen Ausdruck später in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung. An dem Wohnungsbauprojekt arbeiteten 1927  Gropius, Mies van der Rohe und Le Corbusier zusammen und schufen, gemeinsam mit Architekten aus Holland, Belgien und der Schweiz ein Ensemble, das wie kein anderes zuvor den Geist der Moderne materialisert. In nur 21 Wochen Bauzeit entstanden 21 kubische Häuser mit insgesamt 63 Wohnungen, wobei die Architekten nicht nur für das Bauen, sondern auch für die Einrichtung der Wohnungen verantwortlich waren. Gemeinsamkeiten zeigen sich hier bei den Stahlrohmöbeln von Charlotte Perriand und denen von Marcel Breuer und Mies van der Rohe.

Nach dem Krieg wurde französisches Design in Deutschland vor allem mit Mode assoziiert, eine Idee, der auch die Verpflichtung des Modedesigners Pierre Cardin für die deutsche Porzellanmarke Hutschenreuther folgte. 1985 entwarf er für die Firma das Service Maxim’s de Paris. Doch dieses grenzüberschreitende Engagement wirkte wie aus der Zeit gefallen. Sowohl für Cardin als auch für den Porzellanhersteller lagen die großen Zeiten schon zwanzig Jahre zurück. Die Zukunft gehörte anderen. Der aufsteigende Stern jener Jahre hieß Philippe Starck, der da gerade die Privaträume des damaligen Präsidenten Mitterand im Elysée-Palast ausgestattet hatte. Das war für ihn der Startpunkt einer weltweiten Karriere, zu der bis heute, ganz selbstverständlich, auch viele Produkte für deutsche Firmen gehören.

Der Élysée-Vertrag

Vielleicht bedurfte es zweier besonders großer Politiker um etwas besonders Einfaches zu beschließen: Miteinander zu sprechen. Denn das, was Konrad Adenauer und Charles de Gaulle 1963 im Élysée-Palast, dem Amtsitz des französischen Präsidenten, unterschrieben, war keine Beschreibung gegenseitiger Zahlungen oder Verpflichtungen. Sondern vor allem das Versprechen, von nun an regelmäßig miteinander zu reden. Die Minister beider Länder, voran die Außenminister, sollten sich von nun an alle drei Monate zusammensetzen und über Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik sprechen – eine Maßmahme, die wahre Wunder für den Frieden und die europäische Einigung bewirkte. Zwar hatte die deutsch-französische Aussöhnung schon früher begonnen“, erinnerte sich der deutsche Außenminister Dietrich Genscher, „aber es war ein ganz entscheidender Meilenstein, weil nun dieser Beziehung eine langfristige Ausrichtung gegeben wurde. Die Erwartungen, die man damals mit diesem Vertrag verbunden hat, haben sich voll erfüllt“.

Führen nach Rezept

Koch_coachGalleria Messe Frankfurt Magazin, 1/2013

Im zweiten Teil der Galleria-Reihe zum Thema Führung zeigt der Koch Steffen Burkhardt, wie man in der Küche führt. Die Rezepte des Führens kann man durchaus auf andere Lebensbereiche übertragen. Probieren Sie selbst…

Von Christian Tröster

Dass die Küche eine Schule fürs Leben sein kann – aus dieser Erkenntnis kann man ganze Fernsehserien machen. Sozial benachteiligte Jugendliche sollen da mit dem Gemüseschneiden, Braten und Servieren auch Verantwortungsgefühl und Kommunikation lernen. Leben und Kochen, so die Botschaft solcher Serien, gelingen nicht nach Rezept. Und aus dem einen kann man für das andere Lernen.

Dass das so ist, weiß Steffen Burkhardt schon lange. Vor über zwanzig Jahren eröffnete er in Hamburg St. Pauli das Nil, ein Restaurant, das schnell Erfolg hatte und zur Institution in der Hansestadt wurde. Kochen hatte Burckhardt vor der Erföffnung des Nil natürlich gelernt, an bester Adresse im noblen Landhaus Scherrer. Neu dagegen war für ihn die Erfahrung, ein Team leiten zu müssen. Plötzlich war er Chef von bis zu 35 Mitarbeiter in Küche und Service. „Es wird ja keiner als Chef geboren, das muss man lernen“, erinnert er sich: „Zuerst wollte ich mit allen gut Freund sein. Aber als Chef muss man sich auch mal unbeliebt machen. Das auch selbst auszuhalten ist ein persönlicher Prozess“. Seither interessiert sich Burkhardt nicht nur für Rezepte und Aromen sondern auch für die vermeintlich weichen Faktoren bei harter Arbeit. Und entwickelte daraus eine Trainingsmethode, die Küchengeräte zu Erkenntniswerkzeugen macht. Serviert wird erhellende Kost, gewürzt mit Elementen aus Transaktionsanalyse und Themenzentrierter Interaktion. Bei den Methoden geht es um die Vernüpfung von Tiefenpsychologie und Organisationentwicklung. Gängige Instrumente sind dabei, Beziehungen sichtbar zu machen, indem Personen im Raum aufgestellt werden. Oder indem Gemeinschaften als „Dorf“ oder „Schiffsmannschaft“ grafisch dargestellt werden. Diese Methoden erweiterte Burckhardt um Petersilie hacken und Fische ausnehmen. Organisationsentwicklung und Teambildung, so seine Überzeugung, dürfen ruhig auch mal gut schmecken. „Oft werde ich gefragt, ob das eine reine Spassveranstaltung sei, dabei ist Spass ist ein hoher Motivator fürs Lernen“.

Ausgangspunkt für seine Workshops ist jeweils ein Warenkorb. Der wird den Trainingsgruppen vorgesetzt mit der Aufgabe, aus den Zutaten in limitierter Zeit ein Essen zu bereiten. Messer, Töpfe und Pfannen stehen dafür bereit. Was dagegen fehlt, ist ein Rezept. Und das hat Folgen, zumal die Zutaten so gewählt sind, dass daraus unterschiediche Speisen entstehen können. Für eine Vorspeise stellt Burkhardt zum Beispiel diverse Gemüse bereit, dazu Eier, Mehl, Paniermehl, Petersilie, Pinienkerne, Parmesan und Butter. Auch Hobbyköche fällt dazu ein, dass man daraus Crèpes mit Gemüsefüllung machen könnte oder Omlettes mit Salat und gebratenem Gemüse. Petersilie, Käse und Pinienkerne könnte man darüber streuen. Oder sie zu einem Pesto verarbeiten. Die Gruppe muss also zuerst entscheiden. Und dann gemeinsam arbeiten. Steffen Burkhardt steht dabei und weil es sich hier um eine Trainigsmaßnahme handelt und nicht um einen Kochkurs, ist für ihn die Qualität des Essens eher nebensächlich. Dafür analysiert er die Interaktion im Team um so genauer. Selbst wenn die Gruppe ihn als Koch um Rat fragt, ist das für ihn von Interesse. „Das zeigt, wie die Mitglieder mit eigenen Schwächen umgehen und wie weit sie bereit sind, sich externe Hilfe zu holen“. Ob und wie der Koch da Hilfestellung leistet, entscheidet er situativ. Hauptsache die Probanten schnippeln, braten und mixen mit-, für- oder auch gegeneinander. Burkhardts (innerer) Fragenkatalog dazu liest sich wie ein Klassiker der Kommunikationslehre: Kommen Entscheidungen gleichberechtigt zustande oder hierarchisch? Werden die Aufgaben nach Kompetenzen verteilt oder nach anderen Kriterien? Machen alle alles oder gibt es Spezialisten? Wie geht die Gruppe mit Konflikten um? Wie werden die einzelnen eingebunden? Werden alle Kompetenzen genutzt?  „Man erkennt in konzentierter Form die Strukturen, die sich auch im Alltag abspielen“, erklärt Burkhardt. Am Ende des Tages oder auch mal zwischendrin spiegelt der Coach den Teilnehmern das Gesehene in einem Gespräch zurück und macht auf diese Weise Dinge sichtbar, die sonst eher unbewußt ablaufen. „Das muss nicht immer negativ sein,“ erläutert er, „Manche Teams erkennen dadurch erst, wie gut sie zusammenarbeiten und wissen das um so mehr zu schätzen“. Bewußtwerdung ist das eine Ziel, das andere, ungenutze Schätze zu heben. „Warum sollten die Mitarbeiter nicht ihr volles Potenzial nutzen? Woran liegt es, dass sie es möglicherweise nicht tun? Auch für mich als Führungskraft ist es doch eine Entlastung, wenn nicht alles von meinen Fähigkeiten alleine abhängt“. Manchmal aber ist die Führungsspitze auch das Problem. „Ich stelle niemanden vor dem Team bloß“, erläutert Burckhardt, „Wir analysieren das hinterher in Ruhe und versuchen Wege der Veränderung zu entwickeln“. Am Ende des Koch-Coachings sollte in jedem Fall ein arbeitsfähiges und besser funktionierendes Team stehen, auch wenn tiefer sitzende Konflikte nicht an einem oder zwei Tagen zu lösen sind. Sogar Schritte zur Prozessoptimierung können ein Ergebnis der Workshops sein, denn auch hier läßt sich von Köchen lernen.  „In der Küche werden alle Arbeiten in kleine Schritte unterteilt“, erklärt Burkhardt, „Der zweite beginnt erst, wenn der erste für alle Produkte abgeschlossen ist. Fische werden deshalb nicht einzeln filettiert und portioniert. Zuerst werden alle ausgenommen, dann werden alle zerkleinert. So arbeitet man schneller“.

Auch für die eigene Arbeit und Selbstwahrnehmung hat Steffen Burkhardt von den Psycho-Techniken profitiert. Zurückblickend auf den Beginn seiner Karriere sagt er: „Ich würde heute vieles anders machen. Ich kann den Sinn von Hierarchie viel besser würdigen. Das heißt nicht, dass man Mitarbeiter klein macht oder nicht respektiert. Aber eine klare Hierarchie ist eine große Hilfe“.

 

 

 

„Kulturbauten sind für Städte lebenswichtig“

sauerbruch_awArchitektur & Wohnen 3/13

Interview mit Matthias Sauerbruch. Der Architekt kuratiert in Berlin die Ausstellung „Kultur: Stadt“ und setzt sich mit dem Einfluss spektakulärer Architektur auf die Stadtentwicklung auseinander.

A&W: Kulturbauten geben Metropolen Glanz, stehen aber auch unter dem Verdacht von Geldverschwendung und Inkompetenz, wie derzeit die Hamburger Elbphilharmonie. Welche Haltung nimmt ihre Ausstellung zu solchen Phänomenen ein?

Matthias Sauerbruch: Wir zeigen ein breiteres Bild, über fünf Jahrzehnte hinweg. In der Ausstellung ist auch das Sydney Opera House von Jörn Utzon zu sehen. Das wurde in Sydney anfangs mit größtem Misstrauen beäugt. Das ging soweit, dass der Architekt das Handtuch geworfen hat. Er wurde so stark angegriffen, dass er sich fast aus dem Beruf zurückgezogen hat. Trotzdem ist die Oper am Ende ein Riesen-Erfolg geworden. Ich könnte mir vorstellen, dass es mit der Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron genauso sein wird.

Also ein Plädoyer für den Bilbao-Effekt, also die Idee, dass spektakuläre Bauten so viele Touristen anziehen, dass die Architektur am Ende mehr einbringt als sie kostet?

So einfach ist es leider auch nicht. In Bilbao selbst hat es funktioniert, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Beatriz Plaza von der Baskischen Universität Bilbao nachweisen konnte: Die Region hat davon profitiert. Aber der Bilbao-Effekt ist ja eine Wette auf die Zukunft und das kann auch danebengehen. Wir zeigen etwa die Cidade da Cultura in Santiago de Compostela von Eisenman Architects. Die wird wahrscheinlich nicht fertig und ist für die Kommune zu einer großen Belastung geworden. Völlig intransparent ist auch die Entscheidung für das Opernhaus von Gouangzhou von Zaha Hadid. Es kommt einem vor wie ein Raumschiff. Eine spektakuläre Architektur mit tollen Räumen. Aber was ein westliches Opernhaus in der chinesischen Stadt Guangzhou verloren hat, ist schwer nachzuvollziehen. Vielleicht findet es einmal eine Verwurzelung, irgendwie.

Sie präsentieren in der Ausstellung Kulturbauten aus den letzten fünfzig Jahren. Was für eine Entwicklung ist da erkennbar? Was haben die Städte gelernt?

Der Rundgang beginnt mit dem Kulturforum in Berlin. Das war die Idee einer Akropolis für die automobile Stadt. Es folgen demokratische Versuche wie das Centre Pompidou und das Kulturhuset in Stockholm.  Dann die „neuen Ikonen“ wie das Guggenheim Museum in Bilbao. Schließlich haben wir Projekte, die sich stärker mit Bestandsbauten auseinandersetzen, wie das Kulturzentrum SESC Fabrica da Pompeía in Sao Paolo von Lina Bo Bardi oder die Zeche Zollverein im Ruhrgebiet. Da sind Lernprozesse sichtbar: Statt alles neu denken zu wollen etwas umdenken zu können. Das ist ein Zukunftsthema, weil wir ja mit dem Bestand umgehen und nicht in jedem Fall neu bauen müssen.

Großen Prestige-Projekten stellen Sie lokale Interventionen gegenüber. Also kleinere Initiativen, die von unten kommen. Ist das ein zeitgemäßeres Modell als pompöse Großbauten?  

Es ist zumindest ein Gegenmodell. Für die sogenannte Weltausstellung auf dem ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof wurden temporär 15 Pavillons für Kunst und Performances errichtet. Bei Detroit Soup, einem erfolgreichen Micro-Funding-Projekt für kulturelle Interventionen in Detroit muss man schon einen stark erweiterten Architekturbegriff bemühen, um überhaupt von Architektur zu sprechen. Aber solche Ansätze funktionieren und zeigen auch Wirkung auf die Stadt.

Es gab mal von dem Stadtplaner Richard Florida so einen Satz, der zur Gegenkultur sagte: Wenn ein Lesbencafe in deiner Straße eröffnet, kannst du davon ausgehen, dass bald die Immobilienpreise steigen. Haben kulturelle Initiativen einen ähnlichen Aspekt, als Vorboten der Gentrifizerung?

Das ist die Perspektive des Immobilienmarktes, der die Dinge allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Uns interessiert eine Kultur des gemeinsamen Erlebens und die Veränderung des öffentlichen Raumes unter dem Einfluss des Internets. Das Öffentliche ist zunehmend bedroht. In kulturellen Institutionen aber kann ohne kommerziellen Druck ein Austausch zustande kommen.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Ein ganzes Kapitel haben wir den neuen Bibliotheken gewidmet, oft spektakuläre Bauten, wie die Seattle Central Library von Rem Koolhaas/OMA. Da kann man natürlich Bücher und Medien ausleihen, aber wie in einigen anderen Städten auch ist die Bibliothek hier zum attraktiven Anlaufpunkt geworden, eine Mischung aus Szenetreff und ausgelagertem Wohnzimmer. Da ist vieles möglich, eine erstaunliche Renaissance. Aber auch Bauwerke wie das Pariser Centre Pompidou funktionieren immer noch sehr eindrucksvoll – selbst wenn dort heute die untere Etage lange nicht mehr so frei zugänglich ist wie einst bei der Eröffnung.

Wäre es nicht auch möglich, die Kultur zu den Menschen zu bringen, statt umgekehrt?

Dafür steht das Centre Pompidou Mobile von Patrick Bouchain. Die Architektur wird beweglich, das Museum wandert mit Zelten in Kleinstädte und sogar auf die Dörfer. Da hängen dann die Originale aus Paris. Das berührt die Menschen und ist ein Riesenerfolg.

Ist das ein Trend der Zeit, dass es eher darum geht Menschen zusammenzuführen als glamouröse Tempel der Hochkultur zu errichten?

Das muss kein Gegensatz sein. Man kann mit exzeptioneller Architektur in der Stadt Räume definieren, die gut angenommen werden. Aktuell leistet das Metropol Parasol von Jürgen Mayer H. in Sevilla so etwas. Das sind spektakuläre, futuristische Holzschirme. Ein mutiges Projekt mitten in einer historischen Stadtstruktur. Das passt auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammen und ist entsprechend umstritten. Aber es hat einen Kristallisationspunkt für die Öffentlichkeit geschaffen. Alle Demonstrationen in Sevilla finden genau dort statt. Das ist ein Erfolg der Architektur.

Ist die Zeit der großen Ikonen, des Bilbao-Effektes, engültig vorbei?

Es ist der heutigen Zeit geschuldet, dass das Geld nicht mehr da ist für große Investitionen. Ich nehme also an, dass bescheidenere Ansätze in den nächsten Jahren eine größere Rolle spielen werden. Großartige Kulturbauten, die die Menschen zusammenbringen, wird es weiterhin geben. Das hat für Städte eine überlebenswichtige Qualität.

NEUES KLIMA

Next-EnergiewendeNEXT. So leben wir morgen. (Hrsg. RWE) Heft 2/2012

Die Wände hin zu intelligenten Energien ist vielerorts schon erlebbar. Verkehrsplaner und Architekten, Museumsdirektoren und Stadionmanager – alle Arbeiten an mehr Nachhaltigkeit. Sechs Orte, an denen die Energiwende schon im Alltag angekommen ist.

Klimawandel und Energiewende sind große Themen, doch die Diskussionen darum bleiben oft widersprüchlich. Wie, so fragen sich viele, soll man die Höhe des Meeresspiegels in hundert Jahren mit dem Strompreis von heute verrechnen, wie das veränderte Wetter mit dem Arbeitsweg im Auto? Doch so sehr die prognostizierte Zukunft und das gegenwärtiges Erleben auseinanderklaffen, so sicher ist auch, dass viele der Auseinandersetzungen in der Tagespolitik den Blick aufs Hier und Heute verstellen.

Tatsächlich hat sich die Nachhaltigkeit zu einer Bewegung entickelt, die tief in der Bevölkerung verankert ist. Der ökologisch-ökonomische Umbau ist in vollem Gange. In Europa und Deutschland, im Großen wie im Kleinen und an Stellen, an denen man den Wandel kaum erwarten würde. Nicht nur 20.000 Windanlagen in Deutschland und und hunderttausende von Solardächern zeugen vom Aufbruch, sondern zahllose Aktionen in Wirtschaft und Gemeinden, in Vereinen und Institutionen.

Da ist der Bäcker in Essen, der nicht mehr nur stolz ist auf seine Brötchen, sondern der sich neuerdings auch mit dem Nachhaltigkeitszertifikat seiner Backstube schmückt. Oder der Arzt in Wuppertal, der mit dem Twizy auf Visite fährt, einem Elektrozweisitzer von Renault. Das Fahrzeug ist das meistverkaufte unter den E-Mobilen in Deutschland und besonders auch bei Pizzadiensten beliebt. Ein kleines Hamburger Unternehmen hat inzwischen vier davon im Einsatz, auch weil sie als „Werbehammer“ gelten und von Kunden wie Passanten regelmäßig fotografiert werden. Ist dieser Effekt einmal verpufft, bleibt immer noch die gute Wirtschaftlichkeit. Die Betriebskosten sollen rund 80 Prozent unter denen eines PKW liegen.

Doch nicht nur viele Firmen sind aktiv. Die Kommunen Hannover und Göttingen experimentieren mit neuen und energetisch günstigern Systemen für das Stadtlicht. Im Ruhrgebiet ist ein Farradschnellweg geplant. Und Berlin fragt sich, wie es die Stadtbegrünung verändern muss, damit die Bäume die steigenden Temperaturen gut überstehen.

All das macht nicht nur die Umwelt besser, sondern auch viel Arbeit. „Allein die erneuerbaren Energien haben gut 370.000 Jobs in Deutschland geschaffen“, bilanziert Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, weitere 630.000 seien möglich, wenn das Klimaschutzziel der Bundesregierung konsequent umgesetzt werde.

Dazu kommen mögliche 700.000 Arbeitsplätze durch die Steigerung der Rohstoffeffizienz im verarbeitenden Gewerbe bis 2030. Doch den enormen Bemühungen stehen auch ernüchternde Zahlen gegenüber. Zwar erhöhte sich die Energieproduktivität Deutschlands von 1990 bis 2010 um fast 40 Prozent. Dieser Gewinn aber wurde durch ein Wirtschaftswachstum von fast 30 Prozent im gleichen Zeitraum weitgehend aufgezehrt. Ebenso erging es der eigentlich erfolgreichen Bilanz der erneuerbaren Energien zwischen 1995 und 2008. Die Ausbeute von 69 Terrawattstunden in diesem Zeitraum wurde durch einen gleichermaßen gestiegenen Stromverbrauch zunichte gemacht.

So gleicht der Kampf um Nachhaltigkleit und klimaneutrales Wirtschaften zuweilen einer Sysiphosarbeit. Doch dem Elan und Erfindungsreichtum der Vielen tut das keinen Abbruch. Viele der im Folgenden vorgestellten Projekte sind nicht nur vernünftig, sondern sorgen auch für eine Steigerung der Lebensqualität. Wer zum Beispiel vom Auto aufs Fahrrad umsteigt – so sagt es eine jüngere Studie – hat zwar unter bestimmten Umständen nicht so viel Geld gespart, wie  er dachte. Aber ganz gewiss den Gewinn einer besseren Gesundheit.

Die Wempe-Experten

wempeWempe Magazin, Juni 2013

Persönliche Begegnungen mit Menschen, die Wempe so einzigartig machen: Unsere hoch qualifizierten Mitarbeiter, deren Expertise die Kunden jeden Tag aufs Neue zu schätzen wissen.Und deren Arbeit mehr ist als ein Beruf – nämlich eine Passion fürs Leben.

In jeder Niederlassung von Wempe gibt es mindestens einen Juwelenexperten. In Nürnberg ist das Kathrin Buchmann. Ihre Expertise vertieft sie an der Wempe-Akademie in Schwäbisch-Gmünd.

 Die einzigen Edelsteine, die Kathrin Buchmann nicht leiden kann, sind jene, die in Schubladen liegen. Schmuck soll man tragen, ist sie überzeugt, schließlich verbreiteten die farbigen Steine gute Laune. Und nein, esoterisch sei das nicht, es könne ja jeder spüren wie Rubine, Turmaline, Granat und Amethyst den Tag verbesserten. Kathrin Buchmann hat eine heitere Ausstrahlung wenn sie über Farbedelsteine spricht und vielleicht hat sie die auch deshalb, weil sie schon als Kind einer hohen Dosis von Juwelen ausgesetzt war. Ihre Großmutter handelte mit Farbedelsteinen und nahm die Enkelin mit ins Schmuckgeschäft und auf Messen. Heute gibt Kathrin Buchmann die positive Energie in Form von Fachwissen weiter. Sie bildet sich in Pforzheim und an der hauseigenen Akademie in Schwäbisch-Gmünd zur zertifizierten Juwelenexpertin weiter und lernt dort immer weitere Feinheiten ihres Metiers kennen. „Farbige Steine werden viel individueller bewertet als Diamanten“, weiß sie. Wichtig sind Farbe, Herkunft und Seltenheit aber auch der ganz persönliche Geschmack der Trägerin. Und das macht den Umgang mit ihnen aufwändiger – jedenfalls wenn man anspruchsvoll ist: Zuweilen dauert es ein ganzes  Jahr um für einen großen Stein in einem Schmuckstück die passenden Besatzsteine zu finden. Am Ende aber ist es eine Mischung aus Expertise, Intuition und Leidenschaft, die die Experten zum Erfolg führt. Doch auch Kreativität im Umgang mit den Farbedelsteinen ist oft gefragt. So ist es für Kathrin Buchmann immer wieder ein Erlebnis zu sehen, wie ältere Steine aus Privatbesitz durch neue Fassung wieder lebendig werden. „Das ist für viele Kundinnen ein richtiges Aha-Erlebnis“, berichtet sie. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass ein wenig getragener Stein oft nur deshalb so lange in der Schatulle liegt, weil er nicht schön gefasst ist. Fügt man ihn aber in einen neuen Zusammenhang ein, kann er wieder Strahlkraft gewinnen.Sogar nach dem Vorbild der Wempe-Kollektion kann so ein Kundenstein in das ganz persönliche Schmuckstück integriert werden. Dann kommen modernes Design und persönliche Geschichte zusammen und zuweilen gibt es für die Trägerin noch eine unerwartete Überraschung: „Viele Farbedelsteine sind heute viel teurer und seltener, als vor dreißig oder vierzig Jahren“, weiß Kathrin Buchmann, „Da werden durch die Neufassung manchmal Schätze gehoben“.

Carsten Petersen ist Uhrenexperte und betreut das Wempe Museum. Eine besondere Leidenschaft dort sind für ihn die Schiffschronometer – große Uhren mit faszinierender Mechanik und manchmal gefahrvoller Geschichte.

Dass ein Mann diesen Formats ausgerechnet Uhrmacher wurde, liegt in seiner Familie. „Schon mein Vater und Großvater waren Uhrmacher“, berichtet Carsten Petersen, „Das Zusammenspiel der winzigen Uhrenteile hat mich deshalb schon als Kind fasziniert“. Die später erreichte Körpergröße von 1.97 Meter konnte der Passion des kleinen Carsten dann nicht mehr im Wege stehen: „Es gibt ja Pinzetten“, grinst er mit Blick auf seine kräftigen Hände.

Und größere Uhren gibt es auch. Eine Besonderheit in der Firmengeschichte von Wempe sind die Schiffschronometer und Carsten Petersen weiß alles über sie. Denn er ist nicht nur Uhrmacher, sondern auch Kurator des hauseigenen Museums. Dorst sind die schweren Chronometer ausgestellt, messingglänzend und prächtig. Seit 1905 werden die Geräte von Wempe in Hamburg und Glashütte gefertigt und noch heute verdeutlichen sie die existenzielle Bedeutung, die Zeitmessung haben kann. Erst durch mechanische Uhren, die Seegang, Klima und Temperaturschwankungen standhielten, war genaue Navigation auf See möglich. Um das zu gewährleisten werden die Uhren auch heute noch normiert und strengen Kontrollen unterworfen. Erst danach dürfen sie sich mit dem Titel Chronometer schmücken – es gibt sie mittlerweile auch für das Handgelenk. Dass man auch mit einer Armbanduhr auf See überleben kann, zeigt ein anderes Stück in der musealen Sammlung. Es ist eine Omega-Uhr, die in den siebziger Jahren für eine Weltumseglung bei Wempe gekauft wurde. Nach einem Schiffbruch im Pazifik steuerten die Havarierten ihre Rettungsinsel nur mit Hilfe dieser Uhr und eines Sextanten. Als sie nach drei Wochen von einem russischen Frachter gerettet wurden, stellten sie eine Abweichung von nur 15 Seemeilen vom angestrebten Kurs fest, eine  seemännische wie chronometrische Glanzleistung. Auch aus Petersens eigener Familie ist ein Objekt in der Ausstellung zu sehen: eine Armbanduhr mit Stahlgitterschutz aus den Schützengräben des ersten Weltkrieges: Unter den Bedingungen des Krieges löste die Armbanduhr die Taschenuhr ab“ berichtet er. Seine Privatsammlung kann die Gabe ans Museum indes gut verkraften: „Ich habe noch etwa fünfzig andere Uhren zu Hause. Aber da bin ich nicht allein Schuld. Meine Frau hat auch einen Uhrentick“ – er hat sie vor dreißig Jahren bei Wempe kennengelernt.

 

Kaufen als Lust und Laune

Lufthansa Exclusive 4/2013

MikundaDer Wiener Marketing Dramaturg Christian Mikunda untersucht Die Attraktivität von Shopping Maus und Läden.In Zeiten, in denen Onlinehändler immer mehr Umsätze an sich ziehen, ist er ein gefragter Ratgeber. Weil er die Gefühle, die den Konsum anfachen, Anbau und Dekoration festmachen kann.

Text: Christian Tröster

Shopping ist sein Beruf, aber kaufen tut er nichts. Wenn Christian Mikunda ein Geschäft betritt, lassen ihn Hemden und Schuhe kalt, er beobachtet lieber den Raum: Wie wird der Besucher geführt? Welche Geschichte wird erzählt und mit welchen Mitteln? Ist das Bild stimmig, interessant, oder sogar verlockend? Christian Mikunda ist Europas führender Shop-Experte und Fachmann für Verführung, Drama und Wirkung. Gerade bereitet er seine hundertste Shop-Expedition vor, eine Erkundungsreise zu den angesagtesten Läden von Miami bis Singapur. Und wenn er seine Pläne und Theorien dazu dann ausführlich erläutert hat, sagt er Sätze wie: „Für das Verkaufen interessiere ich mich Null“. Immerhin überraschend für einen, der Einzelhändler berät und Shopping Malls inszeniert.

„Man geht ja in ein Geschäft nicht nur um zu kaufen“, erklärt er dann, „das war noch nie so. Der Handel ist in der Freizeitindustrie angekommen“. Deshalb sollte er Räume so in Szene setzen, dass die Menschen ihre Freizeit gerne dort verbringen. Der Rest, das Kaufen, ist Mikunda überzeugt, kommt dann von ganz alleine.

Ausgerüstet mit so viel Gelassenheit entdeckt er zwischen Honkong und New York Shoppingwelten, die immer aufwändiger werden. Da liegen nicht einfach Waren in den Regalen, das einkaufen wird inszeniert mit Showtreppen und Lichtspektakeln, hunderten von alten Nähmaschinen, halbnackten Tänzern, historischen Kostümen, echter Kunst oder hydraulisch bewegten Wänden. „Manche der Läden,“, berichtet er, „sind am Ende so spektakulär, dass man dafür sogar extra nach New York fliegen würde“. Gemeint ist damit zum Beispiel der Armani Store an der 5th Avenue, wo sich eine Treppe so exaltiert durch den Raum schwingt, als hätte der Architekt sich nicht von den Gesetzen der Statik, sondern von Rauchschwaden inspirieren lassen. Vorbilder für solche Bauwerke liegen in Barock und Manierismus – bloß dass die Effekte heute nicht der Kirche, sondern dem Konsum zugute kommen.

Um aus solchen Entdeckungen eine Wissenschaft zu machen, musste der studierte Theatermann Mikunda sich seinen Beruf selbst erfinden. Zunächst arbeitete er als Dramaturg bei Film und Fernsehen, doch daneben nahmen ihn die Inszenierungen des wirklichen Leben immer mehr gefangen. „Nicht ich habe diesen Beruf entwickelt – dieser Beruf hat mich gefunden“, sagt er, und aus dem Dr.phil. wurde auf diese Weise Dr. Shop. Und der stieß bei seinen Expeditionen immer tiefer in bislang unerforschtes Terrain vor. Denn die Gestaltung von Geschäften war bis dahin eher im Ungefähr von Marketing, Ladenbau, Dekoration und Warenpräsentation angesiedelt. Eine eigene Terminologie und Theorie dafür gab es kaum. Andererseits aber eine hoch entwickelte Kultur, die mit Technik und Phantasie spektakuläre Ergebisse erzielt. „Wenn Sie in eine Filiale von Abercrombie & Fitch gehen“, begeistert Mikunda sich über die amerikanische Textilkette, „sehen sie dramatisch kontrastiernde Lichteffekte, die auf den Renaissancemaler Caravaggio zurückgehen“. Stategische Dramaturgie taufte er sein selbst entdecktes Arbeitsfeld, entwickelte damit auch eine Theorie der Wirkungssteigerung und reist seither als Berater, Prophet und Lehrer um die Welt. „Ein Einkaufszentrum als Klotz am Parkplatz“, doziert er, „ist wirlich kein verheißungsvoller Ort. Man muss der Mall ein Gesicht geben, eine Promenade schaffen, die den Kundenfluss sowohl in die Tiefe als auch in die Höhe zieht“. Der ewige Feind dabei ist die Ermüdung der Kunden. Ihr gelte es durch kleine und große Sensationen entgegenzuwirken.

Besonders begeistert sich Mikunda derzeit für die Filialen von Abercrombie & Fitch. Dorthin würden die Menschen wie in eine Disco gehen, angelockt von tanzbarer Musik, halbnackten Jungs, sowie einem Duft, der nicht in den Raum, sondern direkt auf die Ware gesprüht wird. Das alles sei so geschickt abgemischt, dass es den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern würde, sogar wenn sie gar nichts kauften.

Zweifel an der Kommerzialität solcher Inszenierungen sind ihm fremd: „Natürlich sind solche Orte auch ihre eigene, begehbare Werbung“. Daraus aber habe sich eine eigene Kultur entwickelt, die auch als solche verstanden würde. „Die Menschen besichtigen in einer fremden Stadt nicht mehr nur die Insignien der Orbrigkeit aus vergangenen Jahrhunderten, sondern auch Shops und Gastronomie. Die Inszenierungen darin funktionieren wie im Film oder im Theater. Wer da eine Geschichte erzählt, ist nicht ein Lügner, sondern kann Wahrhaftigkeit erreichen“.

Sogar in solchen Fällen wie dem Dover Street Market in London und Tokio. Die Concept-Stores der japanischen Textilkette Comme des Garcons stehen für einen Trend, den Mikunda Rough Lux nenne – rauhen Luxus. Tatsächlich werden da Kleider der Kategorie 1000 Euro und aufwärts in rostigen Wellblechhütten präsentiert, sauber geputzte Slum-Ästhetik für die Happy Few. „Die Menschen wissen solche Konzepte offenbar zu goutieren“, sagt Christian Mikunda, „sie sprechen darüber und kommentieren das fachmännisch, so wie einen Besuch im Museum“.

Auf diese Weise würden die Themenwelten zu Geschenken an die Kunden, Geschenke, die ihnen gute Gefühle bereiteten. Und die könne man ganz gut kalkulieren, indem man räumliche Spannungsbögen aufbaut, sie in ruhigere Phasen überführt um dann erneut das Tempo anzuziehen. Die dazugehörigen Hochgefühle heißen nach Mikunda Freude und Entspannung, Begehren und Bewunderung, insgesamt sieben Stück, entsprechend der Todsünden in der christlichen Sittenlehre. Bloß eben ins positive gewendet. Für die Shopgestalter käme es darauf an, diese Gefühle in richtiger Weise zu kombinieren  – so dass der Kunde emotionale Entlastung erfahre, sein Interesse zugleich aber wachgehalten würde.

Ganz freiwillig geschieht die immer aufwändigere Inszenierung der Warenwelt im Übrigen nicht. Immer größere Teile des Umsatzes fließen an den Ladengeschäften vorbei in den Internethandel – in Deutschland sind es dezeit rund acht Prozent mit weiter kräftigen Wachstumsraten. „Noch vor 10 bis 12 Jahren war man in den Unternehmen nicht bereit, für die Erlebnishaftigkeit Geld auszugeben“, erinnert sich Mikunda, „Das wurde ihnen von den Controllern untersagt. Heute gibt es diese Angst, auch die weichen Faktoren zu planen, nicht mehr in diesem Ausmaß“. Zu Konsum-Junkies sind er und seine Familie mit dem neuen Beruf dann aber doch nicht. Wo immer es geht, rät er seinen Kunden, zum Beispiel die Süßigkeiten vor der Kasse zu entfernen, damit die Kunden nicht zusätzlich gestreßt werden. „Und zu meinem Sohn sage ich auch immer: Du musst nicht alles haben, was du toll findest“.

Klinkern statt Klotzen

Häuser_haus_laketHÄUSER 5/12

Neues entsteht aus altem, deshalb Zahlt man Bautypen der Vergangenheit Respekt.Wie die Hamburger Familie Lagemann, die sich von dem Architekturbüro La’ket Ein modernes Haus bauen ließ, dass viel traditioneller ist, als es auf den ersten Blick scheint.

TEXT: CHRISITAN TRÖSTER

Manchmal gibt man sich extra viel mühe. Hält sich zurück, sucht Gemeinsamkeiten, damit man nicht völlig aus dem Rahmen fällt – und gilt trotzdem als Störenfried. So geschehen in Hamburg, wo die Familie Lagemann lebt und sehr klare Vorstellungen von ihrem neuen Haus hatte: „Wir wollten nichts Abgehobenes, nichts Eitles“, erklärt Conrad Lagemann. „Es sollte sich einpassen in die Reihe der Nachbarn“. Doch als es fertig war, schimpften die Passanten. Einmal, nachts, warf sogar jemand Eier an die Fenster.

Die klassische Moderne, so scheint es, ist noch nicht angekommen im Stadtteil Volksdorf – jedenfalls nicht bei einer Gruppe von Skeptikern und Traditionalisten. Deshalb polarisierte, was harmonisch gemeint war. Was wiederum bedeutet, dass auch viel Zustimmung kam: Das Hamburger Architektenteam „LA’KET“ gewann neue Kunden, und die Bewohner sind ohnehin mehr als zufrieden. „Das Haus bietet ständig neue atmosphärische Momente und ist visuell in Bewegung“, sagt Eugenia Lagemann, „wir freuen uns immer wieder auf zu Hause“.

Tatsächlich verbirgt sich hinter der flächigen Fassade kein Standard-Grundriss. Das Haus ist in Splitlevels aufgeteilt, beginnend mit dem halb versenkten Eingang. Den legten die Architekten an, weil das Grundstück keinen Platz für einen Carport ließ, es ist nur 12,60 Meter breit. Also fährt man mit dem Auto unter den Überhang des Wohnzimmers. Durch einen verglasten Eingangsbereich gelangt man mit wenigen Schritten ins Erdgeschoß, wo sich Küche und Esszimmer befinden, die einen Zugang zum Garten haben.

 

Sieht man genau hin, erkennt man, dass das Haus gar nicht so fremdartig an der Straße steht, wie manche meinen. Es nimmt Volumen und Linien der Häuser der Umgebung auf. So endet der verglaste Eingangsbereich auf gleicher Höhe wie die Kellergeschosse der anderen Gebäude und die Oberkante des Kubus schließt mit deren Traufe ab. Zudem verwendete man traditionelles Material, nur wirken die Wände der Lagemanns viel delikater. Die Klinker, die überall im Viertel konventionell verbaut sind, wurden hier mit Detailversessenheit verarbeitet – es ist jener Unterschied, der Maßgeschneidertes von Stangenware unterscheidet. „Wir haben“, sagt Architekt Tim Kettler, „einen besonders schmalen Klinker mit unregelmäßiger Oberfläche gewählt“. Die 40 mal 4 Zentimeter großen Steine wurden im Diagonalverband verlegt.

Das Haus nimmt mit seiner Grundform respektvoll Bezug auf den Typus der so genannten Hamburger Kaffeemühle, ein fast würfelförmiger Zweistöcker mit Zeltdach, der in den 20er- und 30er-Jahren sehr beliebt war. Ihren Namen verdanken die Häuser ihrer Form, die an die Kaffeemühlen von damals erinnern. Das Architektenteam will diesen Bautypus unter dem Label Volksvilla in die Gegenwart überführen.

 

Was macht aber im inneren die qualität aus, die den Bewohnern so viel Freude bereitet? Zum einen sind da die bereits erwähnten Splitlevel, die die Räume über nur wenige Stufen miteinander verbinden. „Mit einem normalen zweistöckigen Haus“, erläutert Tim Kettler, „hätte man innen relativ wenig Erlebnis“. Der kleine Sohn der Familie hat die verschiedenen Wohnlevel sofort als Spiellandschaft erkannt. Zum anderen gelang das abwechslungsreiche Bild durch die verschiedenen Materalien, mit denen die Zimmer ausgestattet sind, mal mit Linoleum-, mal mit Holzböden. Und durch die unterschiedlichen Zimmerhöhen, das Bad etwa ist fast vier Meter hoch!

Durch die Fenster blickt man in das Dach der alten Eiche im Garten, deren Äste ein beinahe sakrales Gewölbe formen. Ihr dichtes Blätterdach hat übrigens das Energiesystem des Hauses beeinflusst: Da Solarzellen nicht angezeigt waren, entschied man sich für eine geothermische Tiefenbohrung mit Wärmepumpe.

Im Wohnzimmer wird die Raumhöhe durch eine Art Kuhle verstärkt. Die Sitzebene mit Einbausofas ist unter Fußbodenniveau abgesenkt, was besondere Geborgenheit vermittelt. Die Dachterrasse wurde ähnlich abgesenkt und somit den Nachbarblicken entzogen. Das Haus, erläutert Conrad Lagemann seine Wünsche, „sollte das haben, was auch ein Altbau in der Stadt bietet, jedoch in die klassische Moderne übersetzt“. Experiment gelungen.

 

 

Alptraumhaus im Grünen

SPIEGEL Online 6.11.2012

Leerstand bei Einfamilienhäusern

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Alle reden vom Immobilienboom – aber gerade Einfamilienhäuser in der Provinz verlieren durch den demografischen Wandel eher an Wert. Es drohen Leerstand und Verfall. In Vierteln wie Cuxhaven-Altenwalde lässt sich heute schon besichtigen, was bald auch dem Rest der Republik droht.

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